Der blinde Passagier
Alsterbrücke, da sagte Frau Schimmelpfennig: „Ich hab’ übrigens am Flugplatz gekündigt. Dieser Kaminski will nämlich plötzlich nicht mehr warten. Wenn ich sein Geschäft nicht am Ersten übernehme, verkauft er es anderweitig 1 , wie er sagt. Und da übernehme ich es eben am Ersten.“ Frau Schimmelpfennig zog die Schultern hoch und hatte ganz vergnügte Augen. „Das heißt natürlich, nur wenn du einverstanden bist. Denn zum Teil ist es auch dein Geld. Aber Herr Dr. Liesegang hat mir sehr zugeraten. 11
„Sie haben da bestimmt keinen Fehler gemacht“, bestätigte der Chef des Abendblattes.
„Sie haben bestimmt keinen Fehler gemacht“, wiederholte Peter Schimmelpfennig und nahm seine Mutter in den Arm.
„Sage ich auch“, meinte die Großmutter anschließend.
Dann hielten sie vor der Steinfeldstraße 84. Peter Schimmelpfennig schleppte seine Koffer die vier Stockwerke hinauf. Frau Schimmelpfennig trug den Papageienkäfig und die Segeltuchtasche. Dr. Liesegang hatte sich aus Peters Kamera die Filme mit den letzten Aufnahmen aus Bangkok und mit Prinz Namburi geben lassen und fuhr damit zur Redaktion. Als er zurückkam, war Peter Schimmelpfennig einmal kreuz und quer durch die Badewanne geschwommen und hatte sich seinen blauen Anzug angezogen. Kurz vor siebzehn Uhr sollte er nämlich im Fernsehstudio sein.
„Das ist sonntags die beste Sendezeit“, bemerkte Dr. Liesegang, „die Leute sind noch munter vom Nachmittagskaffee und noch nicht müde vom Abendessen.“
Im Schminkraum lernte Peter Schimmelpfennig noch schnell den augenblicklichen Landwirtschaftsminister kennen. Er hatte gerade über die neuen Butterpreise gesprochen und ließ sich jetzt wieder die Schminke aus dem Gesicht waschen. „Seitdem wir in Farbe senden, müssen alle Gesichter geschminkt werden“, bemerkte ein freundlicher Herr in einem Pfeffer-und-Salz-Anzug. Es gab eine ganze Reihe von Stühlen, wie beim Friseur, und Peter Schimmelpfennig nahm Platz. Fünf Minuten später sah er aus, als hätte er ein Gesicht aus rosarotem Marzipan.
„Wir wollen nichts verabreden“, schlug der freundliche Herr in seinem Pfeffer-und-Salz-Anzug vor. „Mein Name ist übrigens Walterspiel, und wir unterhalten uns ganz ungezwungen. Du darfst sagen, was du willst, nur ist es nicht erlaubt, in dieser Art von Sendungen Reklame zu machen. Also anstelle von ,Lufthansa 1 sagst du zum Beispiel nur .eine Fluglinie 1 oder dergleichen.“
Herr Walterspiel spazierte durch einen langen Korridor und dann in ein Studio, in dem Scheinwerfer und Kameras herumstanden.
„Wenn es neben der Kamera rot aufleuchtet, sind wir dran“, erklärte Herr Walterspiel. Er saß Peter Schimmelpfennig gegenüber in einem Sessel und zupfte noch einmal schnell an seiner Krawatte. Und als dann das rote Licht aufleuchtete, räusperte er sich ein ganz klein wenig, lächelte freundlich und sprach mitten in das Objektiv der Kamera hinein.
Die Sendung dauerte nur eine gute Viertelstunde, und Herr Walterspiel in seinem Pfeffer-und-Salz-Anzug sprach so etwa zwölf Minuten davon ganz allein.
„Und wenn morgen die Schule wieder anfängt, freust du dich darauf?“ fragte Herr Walterspiel zum Schluß.
„Es ist kaum zu sagen, wie sehr ich mich darauf freue“, sagte Peter Schimmelpfennig und lächelte, als ginge es noch einmal um ein Werbefoto für die BABALU-Limonaden. Gleichzeitig dachte er an die Herren Freitag und Semmelroth, die jetzt bestimmt auch vor ihren Fernsehapparaten saßen.
Und tatsächlich sagte Oberstudiendirektor Freitag in diesem Augenblick zu seiner Frau: „Wirklich, ein ganz besonders angenehmer Schüler.“ Dabei trank er einen Schluck Pfefferminztee, ohne den Blick von der Mattscheibe zu nehmen.
Beinahe gleichzeitig meinte dagegen Studienrat Semmelroth bei sich zu Hause: „Der Junge hat es ziemlich dick hinter den Ohren.“ Klassenlehrer kennen ihre Pappenheimer eben etwas besser als Schuldirektoren.
„Und deine Mutter“, plauderte inzwischen Herr Walterspiel weiter, „arbeitet am Flugplatz und „.“
„Entschuldigung“, unterbrach Peter Schimmelpfennig höflich. „Meine Mutter ist nicht mehr am Flugplatz. Sie hat sich inzwischen verändert.“
„Zu ihrem Vorteil, möchte ich hoffen“, sagte Herr Walterspiel und lehnte sich in seinen Sessel zurück. „In welche Richtung hat sie sich verändert, wenn ich fragen darf?“
„Sie hat schon sehr lange für ein eigenes Geschäft gespart, in dem man seine Sachen bügeln, flicken oder putzen lassen kann.
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