Der blinde Passagier
machte die Augen zu, und dabei überlegte er sich: „Am besten wäre es natürlich, wenn ich mit Dr. Liesegang telefonieren könnte.“
Schon seit einiger Zeit kam leise Musik aus den Bordlautsprechern. Jetzt wurde sie allmählich lauter. Die Passagiere sollten möglichst sanft aus ihrem Schlaf zurückgeholt werden.
Man schaltete die Beleuchtung wieder ein. und die zwei Stewardessen kamen mit Tabletts. Sie boten Servietten an. die aus heißem Dampf kommen mußten und nach Pfefferminz und Kamille dufteten.
„Besten Dank“, sagte Frau Bergström. Sie hatte das Kunststück fertiggebracht, gleich nach dem Aufwachen wieder alle Sinne beisammen zu haben. „Das tut gut“, stellte sie fest und bearbeitete mit dem Tuch Gesicht und Hände.
fasten seatbelts, blinkte die Leuchtschrift, und im gleichen Augenblick wurde die Musik in den Lautsprechern von der Stimme einer Stewardeß abgelöst.
„Meine Damen und Herren“, sagte die Stimme, „wir befinden uns im Anflug auf den Flugplatz Dakar. Das Geräusch, das sie in den nächsten Augenblicken hören, wird von dem Einsetzen der Luftbremsen verursacht. Greenwichzeit und Ortszeit von Dakar liegen eine Stunde vor der Uhrzeit, die wir mitbringen. Die Außentemperatur in Dakar beträgt im Augenblick vierundzwanzig Grad.“
„Und das mitten in der Nacht“, stöhnte Frau Bergström. „Ladies and gentlemen, we are landing .“ Die Stewardeß wiederholte ihre Durchsage in englisch und französisch.
„Dakar.“ Peter Schimmelpfennigs Gedanken hüpften von einer Geographiestunde zur anderen. „Wo liegt Dakar?“
„Eine Stunde früher“, sagte Frau Bergström ganz langsam und so, als ob sie im Kopf eine Wurzel ausrechnen müßte. „Dann haben wir jetzt genau 23 Uhr 17.“
Bestimmt liegt es in Afrika. Ich spüre es in der Nase, dachte Peter Schimmelpfennig. Dazu kommt, daß sich Dakar ganz einfach nach Afrika anhört.
„Es ist kaum zu glauben, aber wir sind eine ganze Stunde jünger“, gab Frau Bergström bekannt und stellte ihre Armbanduhr um sechzig Minuten zurück. „Man sollte viel öfters fliegen.“
Telefongespräche aus Afrika nach Hamburg sind bestimmt unheimlich teuer, überlegte Peter Schimmelpfennig. Für fünfzig Mark kann man da vermutlich gerade guten Tag sagen.
Ganz Brasilien hängt in einer Waschküche
Als Peter Schimmelpfennig durch die offene Flugzeugtür kletterte, schlug ihm eine Luft entgegen, die so weich war wie ein Katzenfell und so warm wie an einem durchschnittlichen Sommertag am Timmendorfer Strand.
Er blieb eine Weile auf den Metallstufen der Gangway stehen und atmete ganz tief durch. Die Nacht war mondhell, der Himmel war voll von Sternen, und die Lichter des Flugplatzes spiegelten sich im Beton wie in einem See.
„Die übrigen Passagiere wollen sich auch aufwärmen“. mahnte Frau Bergström. Sie hatte Peter den Vortritt gelassen. Dafür trug er ihren schmalen Krokodillederkotfer und den Pelzmantel.
Am Ende der Gangway warteten schwarze Stewardessen. Sie lächelten, und dabei blitzten ihre weißen Zähne wie Leuchtreklame.
„Dakar?“ fragte die eine.
„Transit?“ fragte eine andere.
„Rio“, antwortete Frau Bergström.
„Alors Transit“, meinten die zwei Stewardessen gleichzeitig. und Frau Bergström bekam eine Transitkarte. Und da Peter Schimmelpfennig nichts sagte und so dicht wie möglich an die Dänin herangerückt war, drückte man auch ihm die gleiche grüne Karte in die Hand. Die anderen Passagiere rückten nach.
„Dakar?“ fragte die eine Stewardeß weiter.
„Transit?“ fragte immer wieder die andere.
Inzwischen rollten bereits zwei Tankwagen zum Flugzeug. Scheinwerfer leuchteten auf, und die Trecker für die Mechanik fuhren vor. Überall wimmelte es plötzlich von Afrikanern, die sich tief in bunte Tüchter gehüllt hatten. Für sie war es offensichtlich ziemlich kalt. Sie sprachen Französisch oder ihre Landessprache.
Auch der Omnibusfahrer, der die Passagiere zum Flugplatzgebäude brachte, verschwand beinahe ganz unter einer knallroten Wolldecke. Nur seine schwarzen Hände am Steuerrad waren zu sehen und das Weiße seiner Augen, die tief im Schatten des Tuches lagen.
Die vier oder fünf Passagiere, die mit Dakar das Ziel ihrer Reise erreicht hatten, wurden zur Gepäckausgabe dirigiert, zum Zoll und zum Ausgang.
Aber für die Mehrzahl der Fluggäste war Dakar nur eine Zwischenstation. Deshalb hatten sie auch die grünen Transitkarten bekommen, und der Omnibus brachte sie direkt zu einer großen
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