Der blinde Passagier
Halle, die zu ebener Erde lag und an das Flugfeld grenzte. Diese Halle war durch Neonröhren grell erleuchtet und voller Menschen.
„Ich denke, es ist mitten in der Nacht“, sagte Frau Bergström, „aber hier geht es zu wie am Samstagvormittag auf einem Wochenmarkt.“
„Wir warten schon seit vier Stunden“, erklärte ein Mann in einem hellgrauen Regenmantel. „Mein Name ist Krüger, und ich fliege für Siemens zur Montage nach Panama. Zu Hause bin ich in Gelsenkirchen.“
„Und weshalb sitzen Sie schon seit vier Stunden hier herum?“ wollte Frau Bergström wissen.
„Aus dem gleichen Grunde werden Sie vermutlich auch bald hier sitzen“, lachte Herr Krüger aus Gelsenkirchen. „Ganz Brasilien soll in einer Waschküche liegen.“
„Schöne Aussichten“, meinte Frau Bergström.
Die Wände der Halle waren von oben bis unten mit bunten Fresken bemalt. Sie zeigten schwarze Legionäre, die gerade gegen irgend jemanden Krieg führten, oder Wüstenlandschaften oder halbnackte Neger, die friedlich Krokodile jagten.
Allmählich sickerte durch, daß inzwischen vier Maschinen von verschiedenen Fluggesellschaften festlagen. Natürlich waren die Reisenden nicht gerade bester Laune. Sie diskutierten, belagerten die Schalter der Luftlinien, standen immer wieder auf und setzten sich wieder hin.
„Zuerst suchen wir uns einen Platz“, schlug Frau Bergström vor, „und dann spazieren wir mal durch die Gegend.“
Zwei Stühle waren schnell gefunden. Aber mit dem Spaziergang wurde es leider nichts. An den Türen standen nämlich schwarze Polizisten. Sie waren sehr freundlich, ließen aber niemanden ins Freie. Durchgangspassagiere müssen ja ihre Pässe nicht zeigen und auch nichts verzollen. Dafür bleiben sie allerdings auch unter Bewachung, bis sie wieder abgeflogen sind.
„Schade“, sagte Frau Bergström zu einem der Polizisten, „und ich hätte so gerne über Ihr Land etwas Nettes weitererzählt, wenn ich wieder zu Hause bin.“
Der lange schwarze Polizist verstand kein Wort. Aber er lächelte freundlich.
Die meisten Passagiere vertrieben sich ihre Langeweile an den Verkaufsständen. Sie stöberten zwischen den ausgestellten Waren herum und feilschten mit den schwarzen Händlern in allen Sprachen und Währungen. Es gab Lederkissen zu kaufen, holzgeschnitzte Masken, Halsketten, Negertrommeln, bunte Decken aus Kamelwolle und Elfenbeinfiguren. Farbige Postkarten zeigten Medizinmänner beim Kriegstanz oder Löwen beim Mittagsschlaf.
An einer kleinen Bar neben dem Zeitungsstand entdeckte Peter Schimmelpfennig den Chinesen, dem er in Frankfurt ins Flugzeug nachgestiefelt war, weil seine Rückseite der von Herrn Sang Ping zum Verwechseln ähnlich sah. Er blätterte in einer Illustrierten und trank einen Espresso.
„Die Lufthansa bedauert, bekanntgeben zu müssen, daß sich der Abflug ihrer Maschine nach Rio de Janeiro um unbestimmte Zeit verzögert“, sagte eine Stimme über den Lautsprecher. „Die Passagiere werden zu einer Erfrischung in das Restaurant gebeten. Weitere Nachrichten über den Flug hoffen wir in einer halben Stunde „.“
Die angekündigte Erfrischung im Restaurant bestand aus einem Stück Kuchen, der knochentrocken war, und einer Tasse Kaffee, die man nach dem ersten Schluck nur ganz schnell wieder zurückgeben konnte. Das Ganze wurde von den übermüdeten schwarzen Obern lustlos auf Tische gestellt.
„Fröhliche Weihnachten!“ Frau Bergström lachte und schaute wieder auf ihre Armbanduhr. „Stimmt, seit genau fünf Minuten haben wir den zweiten Feiertag!“
„Ebenfalls, frohes Fest“, grinste Peter Schimmelpfennig, und als er das sagte, fiel ihm sein Paket mit dem Weihnachtsgebäck ein. Er schnürte es auf, nahm den Deckel ab und präsentierte den Inhalt. Und Frau Bergström griff zu.
„Hut ab“, lobte sie nach einer Weile. „Das schmeckt allerdings ausgezeichnet.“
Von Zeit zu Zeit knackte es jetzt immer wieder im Lautsprecher. und gleich danach gaben irgendwelche Stimmen in allen möglichen Sprachen bekannt, daß sich die Abflüge nach Südamerika noch weiter verzögern würden. Die einzelnen Fluggesellschaften lösten sich dabei in schöner Gleichmäßigkeit ab.
In der Halle wurde es inzwischen immer ruhiger. Viele der Passagiere saßen jetzt schlafend auf ihren Stühlen, und die Händler schlossen nach und nach ihre Verkaufsstände. Frau Bergström schmökerte in einem Kriminalroman. Peter Schimmelpfennig blickte durch die große Glastür, die zum Flugfeld führte.
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