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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Draußen standen die Maschinen jetzt ganz allein, ohne Lichter und abgestellt wie geparkte Autos. Der Himmel über den Betonpisten wurde immer heller, und die Sterne verblaßten immer mehr.
    „You are English?“ fragte es plötzlich.
    Peter Schimmelpfennig drehte sich um und sah einen schlanken Jungen mit einem kurzen Bürstenhaarschnitt neben sich. Er war einen halben Kopf größer und steckte in einem Hemd mit großen schwarzen und roten Karos.
    „No, sorry“. sagte Peter Schimmelpfennig.
    „Scandinavian ?“
    „No, sorry .“
    „German ?“
    „Yes, I am German .“
    „Dann können wir ja deutsch reden“, lachte der Bürstenhaarschnitt. „Ich bin Amerikaner und komme gerade aus Berlin. Wohin fliegst du?“
    Peter wußte nicht recht, was er sagen sollte — oder besser, was er sagen durfte. „Das kommt darauf an“, meinte er schließlich.
    „Verstehe“, grinste der Bürstenhaarschnitt. „Du meinst, wenn die Suppe über Brasilien noch ein halbes Jahr hängen bleibt, landen wir vielleicht im Kongo. Übrigens heiße ich Jim.“
    „Und mein Name ist Peter Schimmelpfennig.“
    „Mach dir nichts draus, meiner ist auch nicht viel besser“, grinste der Junge in seinem rot-schwarz karierten Hemd. „Ich heiße mit Nachnamen Miller, nicht Müller, sondern Miller mit ,i’ . Schöner Mist, daß wir hier herumhängen, wie bestellt und nicht abgeholt.“
    „Wenn ich glauben soll, daß du Amerikaner bist“, sagte Peter, „mußt du mir erst einmal beweisen, daß du genauso gut englisch plauderst wie deutsch.“
    „Mensch, ich bin fünf Jahre lang in Berlin auf die Penne gegangen“, erklärte Jimmy Miller. „Mein alter Herr ist Universitätsprofessor.“ Jimmy zeigte mit dem kurzgeschnittenen Kopf in die Richtung eines schlafender. Herrn, der mit lang ausgestreckten Beinen in einem Sessel lag. Er hatte seinen Panamahut so tief im Gesicht, daß sogar die Nase zugedeckt war. „Er hat sich wieder nach New York versetzen lassen. Vermutlich nur meinetwegen. Es sei Zeit, daß ich jetzt in eine amerikanische Schule komme. Meine Mutter ist mit meiner kleinen Schwester und unserem ganzen Krimskrams per Schiff vorausgedampft. Wir zwei machen noch ein paar Umwege, weil er mir was von der Welt zeigen will. Ich finde ihn prima. Man kann mit seinen Eltern ja auch Pech haben. Gestern abend waren wir noch in Madrid bei einem Stierkampf.“
    „Ist so etwas nicht ziemlich schaurig?“ fragte Peter und nahm den Pappdeckel von seiner Schachtel mit dem Weihnachtsgebäck.
    „Zuerst schon“, gab der Junge namens Jimmy Miller zu und nahm sich ein Stück Lebkuchen. „Aber wenn man weiß, worauf es ankommt, ist es recht spannend. Die Regeln sind so hart wie beim Baseball. Nach dem dritten Kampf hat das Publikum gestern nacht aus lauter Wut beinahe das Stadion auseinandergenommen. Sie warfen ihre Sitzkissen in die Arena, und als sich der Torero trotzdem noch verbeugte, haben sie sich umgedreht und ihm den Rücken gezeigt. Immerhin rund zwanzigtausend Rücken.“
    In diesem Augenblick kam Flugkapitän Roland vorbei.
    „Hallo, Peter!“
    „Kapitän Roland.“
    „Tut mir leid“, sagte der Zweimetermann und blieb kurz stehen. „Aber wenn die Wetterfrösche keine besseren Nachrichten bringen, sehe ich ziemlich schwarz.“
    „Hätten Sie Lust?“ fragte Peter und offerierte seine Schachtel mit dem Weihnachtsgebäck. Kapitän Roland angelte sich einen Zimtstern heraus, bedankte sich und verschwand wieder.
    „Die sind wirklich eine Wolke“, stellte Jimmy anerkennend fest und griff noch einmal in die Schachtel. „Und euer Captain könnte mit seiner Länge im Zirkus auftreten.“ Er hatte ein Herz aus Butterteig erwischt.
    „Wenn du nach Rio kommst, mußt du mich besuchen. Wir wohnen im Excelsior an der Copacabana.“
    „Das schreib’ ich mir lieber auf“, meinte Peter Schimmelpfennig, „man kann wirklich nie wissen.“

Palmen, Grillen und Doudou

    Der Uhrzeiger in der Halle des Flugplatzgebäudes sprang gerade auf Viertel vor zwei, als Kapitän Roland, Koffer und Taschen in der Hand, mit seiner Crew vom Rollfeld herüberkam .
    Beinahe gleichzeitig wurde über den Lautsprecher bekanntgegeben, daß die Lufthansa ihre Passagiere zum Schalter bitte. Der Flug nach Rio müsse vorläufig abgesagt werden, und die Fluggäste würden zur Übernachtung in ein Hotel gebracht. Dort erfolge dann die Benachrichtigung, sobald die Wetterverhältnisse den Weiterflug erlaubten.
    „Ihr habt’s gut“, meinte Jimmy Miller in seinem

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