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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Würstchen bestellen muß oder eine Portion Kartoffelsalat, kann ich das aus meiner Tasche bezahlen. Aber vorläufig hält sich mein Hunger ja noch in erträglichen Grenzen.
    Als Peter Schimmelpfennig seine moralischen Probleme bis zu diesem Punkt durchwandert hatte, legte sich plötzlich ein Schatten über ihn wie eine Sonnenfinsternis. Dieser Schatten war lang und breit und gehörte dem Flugkapitän.
    „Ich bin Kapitän Roland und möchte mich nach Ihrem Befinden erkundigen“, sagte er mit tiefer Stimme.
    „Das ist sehr freundlich.“ Die Dänin hatte gerade einen Schluck aus ihrem Rotweinglas genommen. „Mein Name ist Bergström.“ Plötzlich reckte sie den Kopf und bekam ganz große Augen. „Aber um Gottes willen, Kapitän, wer sitzt denn jetzt da vorne am Gashebel, wenn Sie hier so herumspazieren?“
    „Erstens fliegt die Maschine im Augenblick so gut wie allein.“ Kapitän Roland lachte. „Und zweitens sitzt vorne noch mein Kopilot. Auch wenn ich hier herumspaziere, sind Sie trotzdem genauso sicher wie zu Hause auf Ihrem Sofa.“
    „Das beruhigt mich“, gab Frau Bergström zu und beschäftigte sich wieder mit ihrem Filet-Steak. „Es schmeckt übrigens ganz ausgezeichnet.“
    „Leider scheint Ihr Sohn anderer Meinung zu sein. Und, um es ehrlich zu sagen, das betrübt mich.“ Der Zweimetermann rieb sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger seine Nase und zog ein Gesicht, daß man Mitleid mit ihm kriegen mußte. „Keine Fluggesellschaft der Welt sieht es gerne, wenn Passagiere ihr Essen nicht anrühren. Das ist beinahe schon beleidigend. Wie heißen wir denn?“
    „Mein Name ist Peter...“
    „Das ist lustig.“ Kapitän Roland lachte. „Ich habe nämlich auch einen Jungen. Fast genauso alt und genauso groß wie du, und er heißt auch Peter. Ihr könntet Zwillinge sein.“
    „Das ist aber ein Zufall“, meinte jetzt auch Frau Bergström. Inzwischen hatte der Flugkapitän die hellblonde von den zwei Stewardessen herangewinkt und ein paar Worte mit ihr gesprochen. Jetzt ging er in die Kniebeuge, wodurch er mit Peter in die gleiche Augenhöhe kam. „Ich mache einen Vorschlag“, kündigte Kapitän Roland an. „Du probierst unser Steak, und vielleicht kommt dir beim Essen doch noch der Appetit. Damit tust du mir und der Fluggesellschaft einen ganz persönlichen Gefallen.’ Der Flugkapitän hatte ganz hellblaue Augen. Die blinzelten jetzt fröhlich zu Peter Schimmelpfennig hinüber. „Und ich revanchiere mich und lade dich ein. zu mir ins Cockpit zu kommen, wenn du Lust hast. Einverstanden. Herr Bergström?“
    „Einverstanden“, sagte Peter, „aber mein Name...“
    „...ist Peter, ich weiß“, unterbrach Kapitän Roland. „Da fühle ich mich dann bei dir in Zukunft wie zu Hause. Und da kommt dein Steak.“ Die hellblonde Stewardeß, die inzwischen in der Küche gewesen war. servierte lächelnd.
    „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ wollte Kapitän Roland wissen. Er hatte sich aufgerichtet, und seine Stimme kam wieder aus zwei Meter Höhe.
    „Nicht, daß ich wüßte“, überlegte Frau Bergström. „Das heißt“, fiel ihr plötzlich ein. „der Lärm ist für mich doch ziemlich ungewohnt, ich will nach dem Bissen versuchen, ein wenig zu schlafen. Könnten Sie dann vielleicht eine Zeitlang die Motoren abstellen?“
    „Aber natürlich, gnädige Frau, das ist eine Kleinigkeit.“ Kapitän Roland bewegte in seinem Gesicht nicht eine einzige Falte. „Aber vergessen Sie nicht, bevor Sie sich hinlegen, die Schuhe zum Putzen vor die Tür zu stellen.“
    Eine Weile sahen sich Frau Bergström. Kapitän Roland und Peter wortlos an. Dann aber platzten sie gleichzeitig los und lachten, bis ihnen Tränen in die Augen kamen.
    „Es wird Zeit, daß ich mich zurückziehe“, meinte Kapitän Roland noch. Bevor er in der Kabine zur ersten Klasse verschwand, guckte er noch einmal grinsend zurück.
    Inzwischen war es vor den Fenstern dunkler geworden. Die Sonne tauchte immer mehr und ganz fern am Horizont in die tiefliegende Wolkendecke. Der blitzsaubere Steward hatte bereits die Bordbeleuchtung eingeschaltet.
    „Er glaubt jetzt, ich heiße Bergström und sei Ihr Sohn“, gab Peter Schimmelpfennig zu bedenken. Das Steak auf seinem Teller hatte inzwischen wesentlich an Größe verloren, und die Gemüsebeilage war schon geplündert wie ein Warenhaus nach dem Sommerschlußverkauf.
    „Meistens ist es weniger umständlich, jemanden glauben zu lassen, was er möchte, auch wenn es gar nicht stimmt, was

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