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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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»Generationen« hinweg war eine neue RNS-Rasse ausgelesen worden, die dem Gift gegenüber resistent war. Die Rate der RNS-Synthese war nun mit der der normalen V2-RNS ohne Gift vergleichbar. Nun verdoppelten Orgel und seine Kollegen die Giftkonzentration. Wieder sank die Rate der RNS-Replikation, aber nach weiteren etwa zehn Übertragungen von Reagenzglas zu Reagenzglas war eine RNS-Rasse entstanden, die selbst der höheren Giftkonzentration gegenüber immun war. Danach wurde die Giftkonzentration wieder verdoppelt. So gelang es ihnen, durch aufeinanderfolgende Verdoppelungen eine RNS-Rasse zu züchten, die sich in sehr hohen Konzentrationen von Äthidiumbromid, der zehnfachen Konzentration des Giftes, das die ursprüngliche V2-RNS gehindert hatte, reproduzieren konnte. Sie nannten die neue, resistente RNS V40. Die Evolution von V2 zu V40 dauerte etwa 100 Reagenzglas-Übertragungs-»Generationen« (natürlich finden zwischen jeder Reagenzglasübertragung viele tatsächliche RNS-Replikationsgenerationen statt).
    Orgel hat auch Experimente ohne Enzymzugabe durchgeführt. Er fand heraus, daß sich die RNS-Moleküle unter diesen Bedingungen spontan reproduzieren können, wenn auch sehr langsam. Sie scheinen irgendeine andere katalysierende Substanz zu benötigen, etwa Zink. Das ist wichtig, denn wir können nicht davon ausgehen, daß zu Beginn des Lebens, als die ersten Replikatoren entstanden, hilfreiche Enzyme vorhanden waren. Doch Zink war wahrscheinlich da.
    Das ergänzende Experiment wurde vor zehn Jahren im Labor der einflußreichen deutschen Schule durchgeführt, die unter der Leitung von Manfred Eigen über den Ursprung des Lebens arbeitet. Diese Wissenschaftler gaben Replicase und RNS-Bausteine in das Reagenzglas, aber sie taten etwas nicht, sie impften die Lösung nicht mit RNS. Nichtsdestoweniger entwickelte sich im Reagenzglas spontan ein spezielles großes RNS-Molekül, und dieses Molekül entwickelte sich in aufeinanderfolgenden, voneinander unabhängigen Experimenten immer wieder von neuem! Eine sorgfältige Überprüfung ergab, daß eine zufällige Infektion mit RNS-Molekülen nicht möglich war. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, wenn wir an die statistische Unwahrscheinlichkeit denken, daß dasselbe große Molekül spontan zweimal entsteht. Es ist bei weitem unwahrscheinlicher, als daß jemand spontan richtig tippt: »METHINKS IT IS LIKE A WEASEL«. Wie dieser Satz in unserem Computermodell, so wurde auch die speziell bevorzugte RNS durch schrittweise, kumulative Evolution erzeugt.
    Die in diesen Experimenten wiederholt produzierte RNS- Varietät war gleich groß und genau so strukturiert wie Spiegelmans Moleküle. Aber während Spiegelmans Moleküle durch »Degeneration« aus natürlich auftretender, größerer Q-beta- Virus-RNS entwickelt worden waren, hatten sich die der Eigen-Gruppe fast aus dem Nichts selbst zusammengebaut. Diese spezielle Formel ist gut an eine Umwelt angepaßt, die aus Reagenzgläsern mit bereits fertigem Replicase besteht. Sie stellt daher den Konvergenzpunkt dar, an dem sich zwei von sehr verschiedenen Startpunkten ausgehende kumulative Selektionslinien treffen. Die größeren Q-beta-RNS-Moleküle sind weniger gut an eine Reagenzglasumwelt angepaßt, dafür aber besser an die Umwelt, wie man sie in E. Coli-Zellen vorfindet.
    Experimente wie diese helfen uns, die völlig automatische und nichtabsichtliche Natur der natürlichen Auslese voll und ganz begreifen zu lernen. Die Replicase»maschinen« »wissen« nicht, warum sie RNS-Moleküle herstellen: Es ist lediglich ein Nebenprodukt ihrer Gestalt, daß sie es tun. Und auch die RNS-Moleküle selbst arbeiten keine Strategie zu ihrer eigenen Verdoppelung aus. Selbst wenn sie denken könnten, gibt es keinen offensichtlichen Grund, warum ein denkendes Wesen sich dazu motiviert fühlen sollte, Kopien von sich selbst herzustellen. Wenn ich wüßte, wie ich Kopien von mir selbst herstellen könnte, so bin ich mir nicht sicher, ob ich dem Projekt in Konkurrenz zu all meinen anderen Plänen eine hohe Priorität einräumen würde: warum sollte ich? Aber Motivation ist für Moleküle nicht relevant. Die Struktur der Virus-RNS ist zufällig einfach so, daß sie die Zellmaschinerie dazu bringt, Kopien von sich herzustellen. Und wenn irgendein Gebilde, irgendwo im Universum, zufällig die Eigenschaft hat, gut darin zu sein, mehr Kopien von sich selbst herzustellen, so ist offensichtlich, daß automatisch immer mehr Kopien dieses Gebildes

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