Der Blitz der Liebe
mußte wohl Merrivale um den Schlüssel bitten.
Dann fiel ihm ein, daß es noch einen anderen Zugang zum Schlafzimmer seiner Mutter gab, nämlich durch ihr Boudoir.
Er ging im Korridor ein wenig weiter, bis er zu der Tür des Boudoirs kam, und als er den Türknopf drehte, öffnete sie sich.
Die Vorhänge waren zugezogen, aber in dem Zimmer war die Luft überraschend gut und frisch. Er ging sofort auf eines der hohen Fenster zu, vor dem seidene Brokatvorhänge in sanftem Blau hingen, das eine der Lieblingsfarben seiner Mutter gewesen war.
Er schob eine der Vorhanghälften zurück und sah zu seiner Überraschung, daß das Fenster offen war; er spürte einen weichen, warmen Lufthauch auf seinem Gesicht.
Als er auch die andere Vorhanghälfte zurückzog, flutete das Sonnenlicht in das Zimmer, und er wandte sich um, um das große Bett zu betrachten. Er erinnerte sich an alle Einzelheiten: an seine vergoldeten Pfosten, in die Blumen geschnitzt waren, an die Seidenvorhänge, die von einem Betthimmel hingen, der mit Tauben und Putten verziert war.
In dem Bett bewegte sich etwas.
Er traute seinen Augen nicht. Dann erkannte er, während sich die Bettdecke bewegte, daß da ein Kopf auf dem Kissen lag, und dann setzte sich jemand auf.
Lord Heywood erblickte ein kleines, ovales Gesicht mit den zartrosa Wangen eines Kindes, das geschlafen hat. Lange blonde Haare fielen unordentlich über ein weißes Nachthemd.
Dann starrten Lord Heywood zwei große tiefblaue Augen an, und eine Stimme fragte: »Wer sind Sie? Was machen Sie hier?«
Z WEITES K APITEL
Es herrschte tiefes Schweigen, da Lord Heywood zu verblüfft war, um antworten zu können. Nach einer Weile sagte er: »Als Ihr Gastgeber sollte ich diese Frage stellen.«
Die blauen Augen wurden noch größer als zuvor.
»Mein Gastgeber? Sie sind doch nicht Lord Heywood? Er ist im Ausland.«
»Ich bin zurückgekommen«, erwiderte Lord Heywood, »und zwar in einem offensichtlich höchst unpassenden Augenblick.«
Seine Besucherin dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie: »Es ist ganz bestimmt unpassend, wenn Sie mir befehlen zu gehen, denn das wäre etwas, was ich nicht sofort befolgen könnte.«
»Das ist offensichtlich«, bemerkte Lord Heywood trocken und warf einen Blick auf ihr Nachthemd, das zart genug war, um recht aufschlußreich zu sein.
Es erlaubte ihm, die Rundung zweier junger Brüste zu erkennen, und als wäre sie sich dessen plötzlich bewußt geworden, zog sie schnell die Bettdecke höher.
Dabei bemerkte Lord Heywood, daß der mit Spitze eingefaßte Bezug das Monogramm seiner Mutter trug. »Sie lassen es sich durchaus gut gehen«, bemerkte er sarkastisch.
»Es war niemand da, der mich daran gehindert hätte, und die Hausverwalter, wenn es diese zwei alten Leute sind, kommen nie über das Erdgeschoß herauf.«
Lord Heywood machte ein paar Schritte vom Fenster weg und auf das Bett zu, aber er kam nicht so nah, daß er der jungen Frau einen Schrecken einjagte.
Jetzt, wo er sie deutlicher sehen konnte, bemerkte er, daß sie sehr schön war, ja viel zu schön, um in einem fremden Haus zu schlafen, ohne daß jemand etwas davon wußte. »Da Sie wissen, wer ich bin, nennen Sie mir bitte Ihren Namen und sagen Sie mir, warum Sie hier sind«, fuhr er fort.
Sie antwortete zögernd: »Mein Name ist Lalita.«
»Und Ihr Nachname?«
»Für Sie bin ich Lalita, und mehr müssen Sie nicht wissen.«
»Ich hege den Verdacht, daß Sie von zu Hause durchgebrannt sind.«
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Sie sind sehr klug.«
»Vielen Dank«, sagte er. »Aber die Auskunft, die Sie mir gegeben haben, genügt mir nicht.«
»Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich, wie Sie richtig vermutet haben, von zu Hause fortgelaufen bin, und da hier niemand wohnte, erschien es mir als ein perfektes Versteck.«
»Vor wem?«
Wieder lächelte sie, und in ihren blauen Augen blitzte ein Schalk auf. »Das ist wieder eine Frage, die ich nicht beantworten darf.«
»Aber wollen Sie mir dann wenigstens sagen, warum Sie sich verbergen?«
Lalita legte den Kopf ein wenig zur Seite, und er merkte zu seiner Belustigung, daß sie überlegte, ob sie ihm wohl trauen könne. Dann meinte sie: »Ich möchte, daß Sie mir helfen, indem Sie mir erlauben, hier zu bleiben.«
»Sie müssen einsehen, daß das unmöglich ist.«
Da er sich ein genaueres Bild von ihr machen wollte, wandte ihr Lord Heywood den Rücken zu, um die Vorhänge eines weiteren Fensters
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