Der blonde Vampir
zeige ihnen gleich wieder, wo der Ausgang ist.«
Pat lächelt ein bißchen nervös.
In der folgenden Sportstunde lernen Jungs und Mädchen gemeinsam die Grundzüge des Bogenschießens. Ich bin begeistert. Der gemischte Unterricht macht mir Spaß, und Pfeil und Bogen in meinen Händen bringen alte Erinnerungen zurück. Vielleicht allerdings sollte ich die alte Erinnerung an Arjuna, Krishnas besten Freund und den größten Bogenschützen aller Zeiten, nicht wieder wachrufen. Denn Arjuna hat mehr Vampire getötet als jeder andere Sterbliche.
Alle mit demselben Bogen.
Alle in derselben Nacht.
Alle, weil Krishna es gewollt hat.
Pat folgt mir nach draußen auf das Feld, aber als wir unsere Ausrüstung wählen, bleibt sie taktvoll zurück. Irgendwie habe ich sie erschreckt, und dieser Gedanke ist mir nicht unangenehm. Ich trage eine dunkle Sonnenbrille, grau getönt. Als ich Pfeil und Bogen wähle, spricht mich ein anämisch aussehender junger Mann an. Er trägt eine dicke Brille und Kopfhörer.
»Du bist neu hier, nicht wahr?« fragt er.
»Ja. Mein Name ist Lara Adams. Und wer bist du?«
»Seymour Dorsten.« Er hält mir seine Hand hin. »Nett, dich kennenzulernen.«
Ich durchdringe seinen Körper und erkenne sofort, daß dieser junge Mann nur noch weniger als ein Jahr zu leben hat. Sein Blut ist krank – wie sollte der Rest seines Körpers da gesund sein? Ich halte seine Hand einen Augenblick zu lange fest, und er starrt mich erstaunt an.
»Du bist ziemlich stark«, sagt er.
Ich lächle und lasse ihn los. »Für ein Mädchen, meinst du?«
Er reibt sich die Hand. Seine Krankheit hat mich verwirrt. Wahrscheinlich habe ich deswegen zu fest gedrückt. »Ja«, sagt er.
»Seymour ist ein merkwürdiger Name. Klingt, als stamme er aus der Protestbewegung.«
Offenbar mag er mein geradliniges Wesen. »Ich kann den Namen auch nicht leiden. Meine Mutter hat ihn ausgesucht.«
»Änder ihn einfach, wenn du die High-School verläßt. Nenn dich Marlboro oder Slade oder Bubba oder so ähnlich. Und trag diese Brille nicht länger. Kauf dir Kontaktlinsen. Ich wette, daß deine Mutter sogar deine Kleidung aussucht.«
Ich bin eine Offenbarung für Seymour. Er lacht. »Da hast du recht. Aber wenn mein Name schon reaktionär ist, sollte ich auch entsprechend aussehen, oder?«
»Du hältst dich für einen Reaktionär, weil du denkst, du seist clever. Aber ich bin cleverer als du, und trotzdem sehe ich toll aus.« Ich weise auf meinen Pfeil und Bogen. »Was sollen wir damit treffen?«
»Am besten die Zielscheiben«, antwortet er neunmalklug.
Also fangen wir an. Ein paar Minuten später befinden wir uns am Ende des Fußballfeldes und zielen auf die Scheiben, die in einer Reihe auf der FünfzigYard-Linie des Feldes aufgebaut worden sind. Seymour ist beeindruckt, als ich dreimal hintereinander ins Schwarze treffe. Er staunt noch mehr, als wir die Pfeile aus der Zielscheibe ziehen. Sie sitzen so tief, daß er sich anstrengen muß, um sie herauszukriegen. Er ahnt nicht, daß ich den Schaft meines ersten Pfeiles mit dem zweiten und dritten Schuß hätte spalten können. Ich gebe ziemlich an, das weiß ich wohl, und wahrscheinlich ist es alles andere als klug, das zu tun, aber es macht mir nichts aus. Ich will heute ein bißchen leichtsinnig sein. An meinem ersten Tag an der High-School. Zuerst Ray und Pat, und jetzt habe ich auch noch Seymour kennengelernt, der mir auf Anhieb sympathisch war. Ich helfe ihm, die Pfeile aus der Scheibe zu ziehen.
»Du hast nicht zum erstenmal geschossen«, stellt er fest.
»Stimmt. Ich habe Stunden bei einem Meisterschützen genommen.«
Er versucht, den letzten Pfeil herauszuziehen, und stürzt beinahe zu Boden, als sich das Geschoß unvermittelt aus der Scheibe löst. »Du solltest an den Olympischen Spielen teilnehmen.«
Ich zucke mit den Schultern, während wir zur Aufstellung zurückwandern. »An so etwas liegt mir nichts«, erkläre ich.
Seymour nickt. »Mir geht es mit Mathe genauso. Ich bin ziemlich gut darin, aber es langweilt mich tödlich.«
»Und was interessiert dich?«
»Schreiben.«
»Was schreibst du am liebsten?«
»Das weiß ich noch nicht genau. Das Fremde, Ungewöhnliche fasziniert mich.« Er zögert, bevor er weiterspricht: »Ich lese jede Menge Horrorromane. Magst du Horror?«
»Klar.« Ich schaffe es gerade noch, nicht mehr zu sagen, wie zum Beispiel, daß ich schon seit Jahrhunderten total auf Horrorgeschichten stehe. Im nächsten Moment überkommt mich ein merkwürdiges Gefühl. Alles ist so
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