Der blonde Vampir
mißtrauischer machen. Statt dessen springe ich auf die Füße. »Komm schon, wir fahren jetzt in das Büro. Du schläfst heute nacht sicher besser, wenn du weißt, woran er gerade arbeitet.«
Er ist verblüfft. »Jetzt? Auf der Stelle?«
»Na, du wirst doch wohl kaum seine Akten durchsehen wollen, während seine Sekretärin im Vorzimmer sitzt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich begleite dich.«
»Aber es ist schon spät.« Er gähnt. »Ich bin müde.
Ich habe gerade überlegt, ob ich nicht nach Hause fahren soll. Vielleicht ist er längst da.«
»Eine gute Idee. Sieh zuerst zu Hause nach, ob er da ist. Wenn nicht und wenn auch keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter ist, fährst du ins Büro.«
»Warum machst du dir solche Sorgen um meinen Vater?«
Ich zucke zurück, ganz so, als habe seine Frage mich verletzt. »Weißt du das wirklich nicht?« Damit erinnere ich ihn an das, was ich ihm über meinen Vater erzählt habe. Tatsächlich wirkt Ray im nächsten Moment mehr als verlegen. Er stellt sein Weinglas auf den Tisch und erhebt sich vom Boden.
»Tut mir leid. Wahrscheinlich hast du recht«, sagt er. »Ich werde ruhiger sein, wenn ich weiß, was los ist. Aber wenn du mich wirklich begleitest, werde ich dich anschließend hierher zurückbringen.«
»Vielleicht.« Ich küsse ihn rasch auf den Mund. »Aber vielleicht fliege ich auch einfach nach Hause.
5.
KAPITEL
Ich warte im Auto vor der Tür, als Ray zu Hause nachsieht, ob sein Vater mittlerweile zurückgekehrt ist oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen hat. Natürlich bin ich nicht erstaunt, als Ray nach wenigen Minuten niedergeschlagen zurückkommt. Die Kälte hat ihn wieder nüchtern werden lassen, und er sorgt sich, das ist deutlich zu sehen. Er steigt wieder zu mir ins Auto und startet.
»Nichts?« frage ich.
»Nein. Aber ich habe den Schlüssel zu dem Gebäude, in dem er sein Büro hat.
So brauchen wir wenigsten nicht einzubrechen.«
»Das macht die Sache leichter.« Bisher hatte ich vorgehabt, das Schloß
einfach aufzubrechen, ohne daß Ray es merkt.
Wir fahren zu dem Gebäude, in dem ich noch vor achtundvierzig Stunden
gewesen bin. Wie damals ist es eine kalte Nacht. Im Laufe der Jahre habe ich
wärmere Länder zu schätzen gelernt, wie zum Beispiel mein Geburtsland
Indien. Warum ich jetzt gerade nach Oregon gekommen bin, kann ich nicht
sagen. Ich schaue zu Ray hinüber und frage mich, ob es etwas mit ihm zu tun
haben könnte. Aber natürlich denke ich nicht, daß es so ist, denn ich glaube
nicht an Vorherbestimmung und schon gar nicht an Wunder. Ich glaube auch
nicht, daß Krishna Gott war, oder, wenn er es doch war, glaube ich nicht daran,
daß er wußte, was er tat, als er das Universum schuf. Tatsächlich spüre ich sogar
so etwas wie Verachtung für ihn.
Trotzdem schaffe ich es auch jetzt, nach all den Jahren, noch immer nicht, ihn
endlich zu vergessen.
Krishna. Krishna. Krishna.
Sogar sein Name verfolgt mich.
Ray schließt die Tür des Gebäudes auf. Wenig später stehen wir vor Mr.
Michael Rileys Bürotür. Ray sucht nach dem Schlüssel und findet ihn auch. Wir
treten ein. Das Licht ist ausgeschaltet, und mich würde es auch nicht stören,
wenn das so bliebe. Ich fände mich trotzdem zurecht. Aber Ray schaltet das
Licht ein und geht geradewegs in das Zimmer seines Vaters. Er setzt sich an den
Computer, während ich weiter vorn bleibe. Ich untersuche den Fußboden.
Winzige Blutstropfen sind vor zwei Nächten in den Rillen zwischen den Fliesen
getrocknet. Wahrscheinlich kann keiner außer mir sie mit bloßem Auge sehen,
aber die Polizei wird sie finden, wenn sie danach sucht. Egal, was passiert, ich
werde später noch einmal hierher zurückkehren müssen und gründlich
saubermachen. Ray gibt hastig das Kennwort in den Computer ein. Offenbar
glaubt er, daß ich es nicht mitbekommen habe. Er irrt sich. Das Codewort ist
RAYGUN.
»Findest du seine letzten Einträge?« frage ich.
»Ich suche gerade danach.« Er schaut mich an. »Du kennst dich mit
Computern aus, nicht?«
»Ja.« Ich trete näher, so daß ich auf den Bildschirm blicken kann. Eine
Menüleiste erscheint. Ray entscheidet sich für das Stichwort Wegzeile. Eine Liste von Dateien erscheint auf dem Monitor. Die einzelnen Eintragungen sind datiert. Die Anzahl der Bytes, die sie auf der Festplatte besetzen, ist ebenfalls
eingetragen. Plötzlich erscheint oben auf dem Bildschirm eine Überschrift. Alisa Perne.
Ray weist auf den Bildschirm. »Sie muß die Auftraggeberin sein.
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