Der blonde Vampir
Oder
diejenige, die er beschattet.« Er drückt auf eine Taste. »Sehen wir mal, wer sie
ist.«
»Warte.« Ich lege eine Hand auf seine Schulter. »Hast du das auch gehört?« »Was gehört?«
»Das Geräusch.«
»Mir ist nichts aufgefallen.«
»Ich habe ziemlich gute Ohren. Es war irgendwo da draußen.«
Ray lauscht. »Vielleicht war es irgendein Tier.«
»Da ist es wieder. Hörst du es nicht?«
»Nein.«
Ich scheine langsam ärgerlich zu werden. »Ray! Könntest du bitte nachsehen,
ob da jemand ist?«
Er zögert einen Augenblick. »Sicher. Kein Problem. Bleib du hier. Verschließ
die Tür. Ich rufe, wenn ich wieder rein will.« Er erhebt sich.
Doch er schließt die Datei, bevor er geht. Allerdings läßt er den Computer an. Interessant, denke ich. Er wollte mit mir schlafen, aber er vertraut mir nicht so
weit, daß er mich in die Unterlagen seines Vaters blicken läßt. Kluger Junge. In dem Moment, in dem er das Büro verläßt, verschließe ich die Tür und
wähle die Datei an. Ich kann schneller lesen als jeder Sterbliche, und ich habe
ein fotografisches Gedächtnis, aber so schnell wie ein modernes Kopiergerät bin
ich nicht. Von neulich nacht weiß ich, daß Mr. Riley eine Schachtel mit
formatierten Disketten in seinem Schreibtisch hat. Ich nehme zwei und schiebe
eine in den Computer. Dann kopiere ich die Unterlagen. Mr. Riley hat eine
Menge Informationen über mich angesammelt. Die Alisa-Perne-Datei ist
ziemlich umfangreich. Ich schätze, daß es etwa fünf Minuten dauern wird, die
Datei auf die beiden Disketten zu kopieren. Wahrscheinlich wird Ray früher zurückkehren. Während die Unterlagen kopiert werden, gehe ich zur Eingangstür
und sehe mir das Schloß an. Ich höre, wie Ray die Treppe herunterkommt. Er
summt irgendeine Melodie. Er glaubt nicht, daß draußen jemand ist. Ich beschließe, das Schloß zu blockieren. Ich nehme zwei Papierschnipsel und
stopfe sie hinein. Das Schloß klemmt. Die erste Diskette ist eben voll, als Ray
von seinem kurzen Inspektionsgang zurückkehrt. Ich schiebe die zweite
Diskette ein.
»Sita!«, ruft Ray. »Ich bin’s. Hier draußen ist niemand.«
Ich bleibe im hinteren Büro stehen. »Du willst, daß ich die Tür öffne? Ich
habe sie verschlossen, wie du gesagt hast. Ich weiß nicht, wie sie sich öffnen
läßt.«
»Macht nichts. Ich habe einen Schlüssel.« Er schiebt ihn ins Schloß, aber der
Schlüssel läßt sich nicht drehen. »Sita, sie läßt sich nicht öffnen. Hast du den
Riegel vorgeschoben?«
Ich gehe leise zur Tür, so daß meine Stimme näher klingt. Den Monitor habe
ich zu mir herumgedreht, so daß ich ein Auge darauf haben kann. Die Datei
wird schnell von der Festplatte kopiert, aber ebensoschnell wächst Rays
Misstrauen.
»Hier ist kein Riegel«, sage ich. »Versuch es noch einmal mit dem
Schlüssel.«
Er versucht es mehrmals. Ergebnislos. »Öffne die Tür!«
Ich tue so, als ob ich es wirklich versuche. »Sie klemmt.«
»Vor ein paar Minuten ging sie noch problemlos auf.«
»Ray, wenn ich’s dir doch sage: Sie klemmt.« Ich seufze vernehmlich. »Ich
kann doch nicht die ganze Nacht hier eingesperrt bleiben.«
»Nein. Es muß eine Lösung geben.« Er überlegt offensichtlich. »Sieh im
Schreibtisch meines Vaters nach, ob du eine Zange findest.«
Ich bin erleichtert, zum Schreibtisch zurückkehren zu können. In einer Minute
kann ich meine zweite Diskette entnehmen und die Datei schließen. Ich öffne
und schließe die Schreibtischschubladen, während ich darauf warte, daß der
Kopiervorgang beendet wird. Als der Vorgang abgeschlossen ist, gehe ich in die
Datei, sichere die erste Seite und lösche den Rest. Jetzt besteht die Alisa-PerneAkte nur noch aus einer Seite, die keine wichtigen Informationen enthält. Ich
schließe die Datei und stecke die zwei Disketten in meine Hosentasche. Dann
gehe ich zurück zur Tür, ziehe die Papierschnipsel aus dem Schloß und stopfe
sie ebenfalls in meine Hosentasche. Anschließend öffne ich die Tür. »Wie hast du’s geöffnet?« fragt er.
»Es klemmte plötzlich nicht mehr.«
»Komisch.«
»Bist du sicher, daß da draußen niemand ist?«
»Ich habe keinen gesehen.«
Ich gähne. »Ich bin müde.«
»Vor ein paar Minuten warst du noch topfit. Willst du, daß ich dich jetzt
gleich nach Hause fahre? Ich kann später hierhin zurückkommen und mir die
Unterlagen ansehen.«
»Mach’s lieber jetzt. Anders wäre es zu umständlich.«
Ray geht zum Computer, während ich vorn stehenbleibe. Gleich darauf stößt
Ray einen Laut der
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