Der blonde Vampir
du mich dann hergebracht?«
Ich wende mich ab. »Das weiß ich nicht. Aber ich glaube – ach, ich weiß nicht.«
»Was?«
»Dieser Mann, sein wirklicher Name ist Yaksha, weiß, daß du mein Freund bist. Du bist Teil der Rechnung, die er mit mir begleichen will.«
»Was genau meinst du?«
Ich wende mich Ray wieder zu. »Er beobachtet mich, seit ich deinen Vater getroffen habe, da bin ich ganz sicher. Aber er ist mir noch nicht persönlich gegenübergetreten. Gewiß, er hat mir seine Leute auf den Hals gehetzt, aber das ist nicht das gleiche. Nicht für ihn und nicht für mich.«
»Du glaubst, daß ich dich ein wenig schützen kann?«
»Nicht unbedingt. Ich glaube eher, daß er sich fragt, was für eine Art Beziehung wir zueinander haben.«
»Warum?«
»Ich freunde mich nicht leicht mit Leuten an. Und das weiß er.«
Ray seufzt. »Ich weiß noch nicht mal genau, ob ich wirklich dein Freund bin.«
Seine Worte versetzen mir einen Stich, der mich mehr schmerzt als die Kugel, die mich vor Stunden getroffen hat. Ich strecke einen Arm aus und berühre sein Gesicht. Ein schönes Gesicht, das mich an Rama erinnert, obwohl die beiden einander gar nicht ähnlich sehen. Die Grundzüge sind gleich. Vielleicht hatte Krishna recht. Vielleicht sind ihre Seelen ähnlich, falls es wirklich welche geben sollte. Ich für meinen Teil bezweifle, daß ich eine habe.
»Du bedeutest mir mehr als jeder andere Mensch, den ich seit langem getroffen habe«, sage ich. »Ich bin viel älter, als ich aussehe. Und ich war lange Zeit einsamer, als ich vor mir selbst zugegeben habe. Aber als ich dich traf, wurde die Einsamkeit leichter. Ich bin dein Freund, Ray, auch wenn du nicht der meine sein willst.«
Er starrt mich an, und es scheint fast, als ob er mich nach langer Fremdheit plötzlich erkenne. Dann senkt er leicht den Kopf, um meine Hand zu küssen, die ihn noch immer berührt. Seine nächsten Worte dringen wie aus weiter Ferne zu mir.
»Manchmal sehe ich dich an, und du wirkst nicht wie ein Mensch auf mich.«
»Ja.«
»Du bist wie ein Kunstwerk, aus Glas gefertigt.«
»Ja.«
»Alt und gleichzeitig doch so jung.«
»Ja.«
»Du hast mir gesagt, du seist eine Vampirin.«
»Ja.«
Aber er fragt mich nicht, ob es wirklich so ist. Er weiß es besser. Er weiß, daß ich ihm diesmal die Wahrheit sagen würde – eine Wahrheit, die er nicht hören möchte. Wieder küßt er meine Hand, und ich beuge mich vor, um ihn auf den Mund zu küssen. Lang und innig. Der Kuß nimmt ihm diesmal nicht die Luft zum Atmen, und ich bin froh darüber. Er will mich lieben, das spüre ich, und es macht mich glücklich.
Ich zünde ein Feuer im Kamin des Wohnzimmers an. Auf dem Teppichboden vor dem Kamin liegt ein alter persischer Teppich, auf dem ich manchmal schlafe, wenn die Sonne hoch am Himmel steht. Ich trage zudem Decken und Kissen herein. Wir entledigen uns langsam unserer Kleider; ich lasse zu, daß Ray mich auszieht. Er berührt mich, und ich küsse ihn sanft am ganzen Körper. Dann legen wir uns nieder, lieben einander, und es ist für uns beide wie ein Wunder. Ich passe auf, daß ich ihn nicht verletze.
Später, als er schläft, steige ich ins Dachgeschoß hinauf und kehre mit einer Automatikpistole wieder zurück. Ich lade sie sorgfältig, kontrolliere, ob alle Teile geölt sind und sie einsatzbereit ist. Dann lasse ich mich wieder neben Ray nieder und lege die Waffe unter mein Kopfkissen. Ray ist erschöpft, ich streiche sanft über seinen Kopf und flüstere ein paar Worte, die bewirken, daß er den ganzen Tag durchschlafen wird. Ich bin davon überzeugt, daß sich Yaksha nicht vor Anbruch der Dunkelheit zeigen wird – eine neue Nacht für ein neues Gemetzel. Das jedenfalls würde zu ihm passen. Ich weiß, daß meine Waffe ihn nicht aufhalten wird. Alles, was mich beschützt, ist Krishnas Versprechen. Aber was zählt das Versprechen eines Gottes, von dem ich noch nicht einmal weiß, ob ich an ihn glaube?
Eines jedoch ist sicher: Sollte Krishna nicht Gott sein, so wäre er zumindest der ungewöhnlichste Mensch, der die Erde jemals betreten hat. Mächtiger als alle Vampire zusammen. Ich denke an ihn, während ich neben Ray liege, und wundere mich gleichzeitig über meine Gefühle für diesen Jungen. Frage mich, ob sie nur Ausdruck meiner Sehnsucht nach dem Göttlichen sind, das ich in ihm vermute. Krishnas Gesicht ist mir noch immer zu vertraut. Ein Gesicht, so ungewöhnlich, daß man es selbst in fünftausend Jahren nicht vergessen kann.
9.
KAPITEL
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