Der blonde Vampir
mehr gehe ich zurück. Yaksha und ich verließen das Gebiet. Bald schlossen sich uns zwei der Männer an, die aus dem Dorf verschwunden waren. Sie waren Vampire. Ich selbst war ein Vampir. Nur daß es dieses Wort zu der Zeit noch nicht gab. Ich wußte nicht, was ich war, nur, daß ich Yaksha jetzt ähnelte.
Im Schrecklichen wie auch im Wunderbaren.
Während der ersten Tage hatte ich kein Verlangen nach Blut, und wahrscheinlich hatte Yaksha die beiden Männer aufgefordert, zu diesem Punkt zu schweigen, was sie auch taten. Aber ich merkte, daß mir helles Licht nicht bekam. Die Strahlen der Mittagssonne waren fast unerträglich. Das verstand ich wohl. Denn in Kinder- und Jugendtagen war Yaksha oft mitten am Tag verschwunden. Das Bewußtsein, daß ich nie wieder den strahlenden Sonnenhimmel genießen würde, machte mich unendlich traurig.
Aber die Nächte hatten für mich plötzlich eine nie gekannte Schönheit. Im Dunkeln konnte ich besser sehen als bei Tageslicht. Ich sah auf den Mond und erkannte, daß er nicht das glatte Gestirn war, für das ihn alle hielten, sondern eine vernarbte Kraterwelt ohne Sauerstoff. Dinge, die in weiter Ferne lagen, schienen für mich nah und erreichbar. Ich konnte Details sehen, die ich mir früher kaum vorzustellen gewagt hatte: die Poren in meiner Haut, die facettenreichen Augen winziger Insekten. Ich nahm Geräusche wahr wie kaum sonst jemand. Schnell erkannte ich, wie unterschiedlich Menschen atmen. Was jeder einzelne Rhythmus bedeutet, welche Emotionen ihm zugrunde liegen. Mein Geruchssinn eröffnete mir neue Sphären. Mit jeder leichten Brise atmete die Welt einen neuen Geruch, strömte sie ein neues Parfüm aus.
Am meisten genoß ich meine plötzliche Stärke und Vitalität. Ich konnte in die Krone des höchsten Baumes klettern, vermochte riesige Felsblöcke mit einer Handbewegung zu zertrümmern. Es machte mir Spaß, Tiere zu jagen, besonders so starke wie Löwen und Tiger. Sie alle flohen vor mir. Sie spürten, daß ich kein Mensch war, daß sie es nicht mit mir aufnehmen durften.
Aber mein Blutdurst ließ nicht lange auf sich warten. Am vierten Tag ging ich zu Yaksha und berichtete ihm, daß meine Brust brenne und mein Herz unerträglich heftig schlage. Ich dachte tatsächlich, daß ich sterben müsse – ich dachte daran zu verbluten. Natürlich kam ich nicht auf den Gedanken, Blut zu trinken, diese Vorstellung war einfach zu unmöglich. Selbst als Yaksha mir erklärte, daß dies die einzige Möglichkeit sei, meinen Schmerz zu lindern, schob ich die Idee weit von mir. Denn obwohl ich nicht länger ein Mensch war, wollte ich weiterhin so tun, als ob ich einer wäre. Nachdem Yaksha mich die ganze Nacht lang fest in den Armen gehalten hatte, glaubte ich, daß ich sterben müsse. Doch noch immer stellte ich mir vor, daß mein Leben nicht wesentlich anders sei als das anderer Menschen. Aber es war kein Leben in dieser Welt. Ich konnte von diesem Leben zehren, aber ich konnte es nicht weitergeben. Yaksha sagte mir, daß ich unfruchtbar sei, nachdem er mich über die Bedeutung des Blutes aufgeklärt hatte. Ich weinte, als ich an Lalita und Rama dachte, und ich fragte mich, was sie nun ohne ihre Sita anfangen sollten.
Aber ich konnte nicht zu ihnen zurückgehen.
Ich konnte nicht zulassen, daß sie sahen, welches Monster aus mir geworden war.
Ich fürchtete mich vor dem Wunsch, sie ebenfalls zu Vampiren zu machen.
Ich wehrte mich dagegen, das Blut eines Menschen zu trinken, bis ich nur noch Schmerz spürte. Ich wurde schwächer und schwächer, stöhnte, statt zu sprechen. Ich wollte kein Blut trinken, und fast schien es, als ob sich das neue Wesen, das durch Yaksha aus mir geworden war, von innen heraus selbst zerstören wollte. Einen Monat nach meiner Umwandlung brachte Yaksha mir einen halb bewußtlosen Jungen, dessen Halsvenen schon zum Teil offen waren, und forderte mich auf zu trinken. Wie ich ihn dafür haßte, daß er mich dieser Versuchung aussetzte! Wie erneut mein Haß dafür aufloderte, daß er mich von Rama und Lalita weggeführt hatte! Doch all mein Haß gab mir keine Kraft zu widerstehen, denn ich war kein reines Wesen mehr. Ich brauchte Yaksha, nachdem er mich zu seinem Geschöpf gemacht hatte, und jemanden zu brauchen bedeutet fast so etwas wie ihn zu lieben. Trotzdem kann ich nicht sagen, daß ich Yaksha jemals geliebt habe, nein, ich habe nur zu ihm aufgesehen, weil er größer war als ich. Für lange Zeit war er der einzige, zu dem ich aufsehen konnte – bis auf
Weitere Kostenlose Bücher