Der Blumenkrieg
»Das habe ich nicht gemeint. Wo ich herkomme, haben wir Städte, die tausendmal größer sind. Ich … es ist bloß das erste Mal, daß ich mehr als ein paar von euern Leuten auf einem Fleck sehe.« Wobei er sich eingestehen mußte, daß auch der Begriff »Leute« nicht ganz paßte. Grob geschätzt waren mindestens die Hälfte der Personen auf dem Platz viel kleiner als Menschen, einige allerdings auch sehr viel größer. Außer den Banden kniehoher halbstarker Brownies, den Schwärmen noch winzigerer geflügelter Schulkinder in Uniformen und den schlanken, nassen und traurig blickenden blauhäutigen Frauen, die Kinder- oder Einkaufswagen vor sich herschoben, sah er drei oder vier gewaltige Oger und wenigstens eine unheimliche Vogelscheuchengestalt von fast drei Metern Höhe, die ein wenig wie ein Mann auf Stelzen aussah, aber ganz offensichtlich nicht auf Stelzen ging.
»Ein Polewik«, erklärte Apfelgriebs, als sie sah, wie er die lange Erscheinung angaffte. »Sie können auch kleiner sein, wenn sie wollen. Der da hat wahrscheinlich eine Stelle als Fensterputzer oder so was.«
»Die meisten andern Leute hier sind ziemlich klein – ähm, nichts für ungut«, fügte er rasch hinzu. »Jedenfalls viel kleiner als ich. Wie kommt das?«
»Ah, ja«, sagte Rufinus. »Ich vermute, das liegt daran, daß sie nicht die herzhafte Landluft atmen, derer wir uns in der Kommune erfreuen.«
Apfelgriebs verdrehte die Augen. »Wahrscheinlich liegt es daran, daß viele der Großen mit der Kutsche fahren und wir andern gehen oder fliegen, und darum sind viele von denen, die du auf der Straße siehst, ein bißchen klein geraten.«
»Ah.« Rufinus nickte gewichtig. »Damit könntest du durchaus recht haben, Kesselpauke. Heider, sei so gut und halte hier vor dem Eingang.« Er sah mißmutig zum Fenster hinaus. »Bei den Bäumen, der Feiertagsverkehr ist ja zum Auswachsen! Ich kann die Leute verstehen, die irgendwo hinfahren müssen, aber diese ganzen anderen, die hier herumlungern – warum verbringen sie nicht Mabon zu Hause bei ihren Familien?«
»Weil sie nicht nach Hause können«, sagte Apfelgriebs ein wenig scharf. »Sie können es sich nicht leisten, und ihre Familien wohnen zu weit entfernt.«
»Moment mal«, sagte Theo zu Rufinus. »Du meintest, es könnte sein, daß jemand nach uns Ausschau hält.«
»Ja?«
»Nun, sollten wir dann nicht vielleicht irgendwo anders aus einem so großen Auto aussteigen … einer so großen Kutsche, meine ich natürlich? Falls irgend jemand den Bahnhof überwacht, wird er uns da nicht eher übersehen, wenn wir nicht mit der Kutsche vorfahren?«
Rufinus Kegel-Chrysantheme nickte abermals. »Hmmm. Da ist was dran. Ja, du könntest durchaus recht haben.« Er wandte sich an den Doonie, der bereits blinkte, um links abzubiegen. »Ich habe es mir anders überlegt. Sieh zu, daß du auf der Rückseite eine Stelle findest, wo wir aussteigen können, hörst du, Heider? Wo wir nicht so … so …«
»Auffallen«, ergänzte Theo, doch im stillen dachte er: O Gott, ich bin verloren. Mit einem Kapitel aus einem Tom-Clancy-Roman, den ich mal beim Arzt im Wartezimmer gelesen habe, bin ich besser für Gefahren gerüstet als dieser Heini.
Auf der Rückseite des Bahnhofs bot sich ein vollkommen anderer Anblick, und Theo machte seine erste Bekanntschaft mit einer weniger ansprechenden Seite von Elfien. Einige der Läden waren verbrettert, die Wände waren mit Graffiti beschmiert – unter den verwendeten Symbolen waren Kreuze und Davidsterne, bemerkte er verwundert, vielleicht sollten sie ja einen Schockeffekt haben –, und die Straßen waren mit herumwehendem Papiermüll übersät. Elfen der verschiedensten Art standen in den Hauseingängen oder in kleinen Gruppen an den Straßenecken. Theo mußte sich ständig klarmachen, daß sie keine Masken trugen. Er war im Märchenland, und so sahen die Leute hier aus: Merkmale, die er als ausgesprochen menschlich empfand, bunt gemischt mit Hörnern und Hufen und Fellen und Fledermausohren. Einige der Einheimischen schienen sich gut zu amüsieren, denn sie lachten und schwadronierten oder spielten sogar Musikinstrumente, so daß er kurz den Impuls verspürte, aus dem Wagen zu steigen und ihnen ein Weilchen zuzuhören, doch viele andere sahen elend aus, heruntergekommen. Ein großer Teil dieser Straßenelfen gehörte einem bestimmten Schlag an. Sie waren alle dünn und gingen fast alle barfuß, hatten baumwurzelähnliche Zehen und Finger, und die Körperpartien, die
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