Der Blumenkrieg
Möchtegernsternchen auf einer Hollywoodparty. Doch was sie davor bewahrte, vollkommen, sprich vollkommen langweilig zu sein, waren Gesichtszüge, die Theo nicht recht einordnen konnte, Züge, die sie von der menschlichen Norm absetzten und die eben deshalb fesselnd waren, weil sie ihm nichts über die betreffenden Personen verrieten.
Bei seiner ersten Begegnung mit Graf Rainfarn war ihm dieser wie ein keltisch-asiatischer oder skandinavisch-asiatischer Mischling vorgekommen, nur mit einem helleren Hautton. Jetzt, wo er diese vielen adeligen Elfen auf einem Haufen sah, bot sich ihm ein reicheres Repertoire der Typen, die er vorher nur mit menschlichen Näherungen hatte klassifizieren können. Die »asiatischen« Augen standen in der Regel weiter auseinander als bei den meisten Menschen. Was er bei Rainfarn für eine extreme nordeuropäische Blässe gehalten hatte, lag in Wirklichkeit eher im mittleren Bereich des Elfenspektrums, und dieser Hauttyp hatte zudem subtile Farbschattierungen, ganz schwache, nahezu unsichtbare Anflüge von Grün und Violett, so daß im Vergleich selbst die milchweißeste irische Maid wie ein wettergegerbter sizilianischer Hafenarbeiter aussah.
Das war es, was sie so interessant und die Frauen so verführerisch machte: Diese normalen Elfen waren nicht viel schöner als Menschen, aber sie waren aus so vielen verschiedenen – und Theo unbekannten – Typen zusammengewürfelt, daß jedes Gesicht fast eine neue Welt für sich war.
Allerdings war es nicht immer einfach, die Gesichter genauer in Augenschein zu nehmen, vor allem die der Frauen. Wenigstens eine der Moden, die Eamonn Dowd beschrieben hatte, schien sich bis in diese modernere Zeit gehalten zu haben: eine Frauenmode, die mit Handschuhen, langen, weichen Röcken und bis auf die Füße fallenden Mänteln aus steifen, hellen Stoffen den ganzen Körper verhüllte. Dutzende von Elfinnen der Oberschicht warteten auf Bänken oder tranken in den kleinen Bahnhofsrestaurants mit Freundinnen Tee, aber bei kaum einer waren die Fesseln zu sehen. Auch große Hüte und Turbane schienen in Mode zu sein. Die ganze Szene hatte etwas absurd Viktorianisches: Wenn die durch die Luft sausenden Feen, die kleinen Schuhputzer mit Mopsköpfen und ähnliche Erscheinungen nicht gewesen wären, hätte Theo meinen können, er wäre in einen Kostümschinken im Fernsehen geraten. Er überlegte kurz, ob vielleicht das regnerische Wetter an dieser Verhüllung schuld war, doch in dem Fall scherten die Arbeiterinnen, große wie kleine, sich wenig darum, denn sie waren bequem gekleidet und trugen unbekümmert nackte Arme zur Schau, nackte Beine, nackte Flügel …
»He, warum hat eigentlich von deiner Schicht niemand Flügel?« fragte Theo unvermittelt.
Rufinus schaute ihn sichtlich ungehalten an. »Wie bitte?«
»Flügel. Du hast keine. Dein … Onkel oder was er ist … Rainfarn hatte auch keine. Ich dachte erst, die wachsen vielleicht bloß den Kleinen, aber dort geht jemand von deiner Größe«, er deutete auf eine junge Elfe mit einem kuriosen weißen Hut, der wie eine plattgewalzte Möwe aussah, »und sie hat welche.«
»Das ist eine Krankenschwester«, sagte Rufinus, als wäre das eine Erklärung.
»Aber du und Rainfarn, warum habt ihr keine Flügel?«
Rufinus atmete einmal tief durch. »Wer etwas auf sich hält … hat keine. So, hier ist die Teestube. Ich hoffe, der Besitzer hat nicht gewechselt – ich war schon seit Monaten nicht mehr hier.«
Theo zuckte die Achseln und trat hinter ihm ein.
Während Rufinus bei einer rotgesichtigen Frau mit Stummelflügeln, die auf einem Hocker stehen mußte, um über die Theke zu gucken, drei Kännchen Tee bestellte, zwei große und ein extrakleines, begutachtete Theo die diversen Delikatessen hinter der Scheibe. Die Backwaren sahen hervorragend aus, jede einzelne ein Meisterwerk der Konditorkunst. Er wollte gerade Rufinus bitten, ihm ein Stückchen zu bestellen, als er bemerkte, daß das leckere Törtchen, dessen schillernde Farben ihm ins Auge gefallen waren, anscheinend aus echten Schmetterlingen hergestellt war. Aus echten lebenden Schmetterlingen, denn sie bewegten noch sachte die Flügel. Ein anderes Stückchen war von einem Häufchen gekrönt, das aus Fischaugen mit Puderzucker bestäubt zu bestehen schien.
Mit sinkendem Appetit folgte er Rufinus und dem Tablett an einen Tisch im vorderen Teil der Teestube, von wo aus sie einen hervorragenden Blick auf die Bahnhofshalle hatten – und die Bahnhofshalle
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