Der Blumenkrieg
dich nicht in dem Glauben lassen möchte, ich … ich wäre …« Sie verstummte.
O Gott, dachte er. Sie hat ihre Leute angerufen, und in diesem Moment sind sie auf dem Weg hierher, um mich festzunehmen und mich in ihrem gruseligen Elfengefängnis zu foltern. »Ein Geständnis?« Seine Stimme war nicht so fest, wie er es sich gewünscht hätte.
»Ich bin hundertfünf.«
»Was …?«
»Ich bin hundertfünf Jahre alt.« Sie konnte ihn immer noch nicht anschauen. »Ich wollte, daß du das weißt. Weil ich dich wirklich mag. Jetzt haßt du mich wahrscheinlich.«
Er konnte sie nur angaffen.
»Ich weiß, ich sehe älter aus. Na ja, manchmal. Meine Eltern halten mich für ein Kind, aber das bin ich nicht – ich habe schon viele Liebhaber gehabt. Aber ich wollte nicht, daß du es hintenherum erfährst und denkst, ich hätte versucht, dich zu täuschen. Ich bin nicht an der Universität, wie du wahrscheinlich dachtest – ich bin in meinem letzten Jahr am Internat Schwanendaune. Aber ich bin alt genug, um zu heiraten, jawohl, so jung bin ich also gar nicht!« Jetzt blickte sie endlich auf, doch sein konsternierter Gesichtsausdruck verwirrte sie. »Das heißt nicht, daß du mich heiraten sollst!« Ihre außergewöhnlichen Augen verengten sich ein wenig. »Und wie alt bist du?«
Theos Gestammel wurde von Apfelgriebs’ Rückkehr unterbrochen. »Gut«, teilte sie mit. »Meine Nieren sehen wieder Land. Sollen wir gehen?«
I nzwischen war es früher Abend geworden, und draußen vor dem Bahnhof gingen überall die Lichter an, Straßenlaternen und Reklametafeln, doch sie leuchteten alle schwächer als die elektrischen Lichter, die Theo kannte, silbriger als gewöhnliches weißes Licht, selbst die einfachsten, und irgendwie auch … spukiger, ja, das war das einzige Wort, auf das er kam. Als daher der riesige nebelgraue Wagen lautlos wie Charons Nachen vor dem Bahnhof am Bürgersteig vorfuhr, erschrak er ein wenig. Der Fahrer stieg aus, und Theo meinte zunächst, in ein bekanntes Pferdegesicht zu blicken.
Nein, erkannte er, das ist nicht Heider, bloß ein anderer Doonie. Er sagte doch, daß viele von ihnen Chauffeure sind.
»Seid ihr die Herrschaften, die einen Wagen in die Stadt bestellt haben?« fragte der Fahrer. Seine grünliche Haut war stark mit Weiß gesprenkelt – Theo überlegte, ob er vielleicht vom gescheckten Zweig der Familie abstammte –, und er trug eine graue Uniform, die im Licht der Bahnhofsbeleuchtung nur geringfügig weniger schillerte als das Auto. »Ich bräuchte bitte jemanden, der signiert.«
Poppi blickte entrüstet. »Ich habe doch deiner Zentrale gesagt, wer ich bin!«
»Nichts für ungut, Jungfer Stechapfel. So ist es heutzutage leider Vorschrift. Eine Schande, aber was soll man machen?« Er wiegte entschuldigend sein augenloses Haupt und holte ein ledergebundenes Büchlein aus seiner Jackentasche. »Nur eine Formalität.« Er klappte es zwischen zwei Seiten auf, die Theo völlig leer vorkamen, und hielt es Poppi hin. Diese legte kurz ihre kleine Hand darüber, und der Fahrer nickte und steckte es wieder ein. Der ganze Vorgang glich einerseits so sehr einem magischen Ritual und hatte andererseits doch eine solche Ähnlichkeit mit dem Lesen eines Strichcodes, daß Theo sich weniger über die Fremdartigkeit Elfiens wunderte als über die früher nie bemerkte Fremdartigkeit seiner eigenen Welt.
Sobald Poppis ganzes Gepäck im Kofferraum verstaut war und sie in dem geräumigen Fahrgastteil Platz genommen hatten, glitt der Wagen sanft aus der Haltespur. Theo schaute besorgt durch die getönten Scheiben, ob er jemand entdeckte, der sie beobachtete, doch von der im Silberschein des Sternenlichter Bahnhofs ein- und auseilenden Menge schien niemand sie zu beachten.
»Es sind von hier ungefähr drei Stunden bis zur Stadt«, erklärte der Fahrer. »Möchtet ihr vielleicht Musik hören?«
»O ja, bitte«, erwiderte Poppi. Auf der Stelle tönte aus dem Nichts – eher wohl aus verborgenen Lautsprechern, aber nach dem, was er in letzter Zeit erlebt hatte, konnte Theo die Möglichkeit dieses »Nichts« nicht ganz ausschließen – eine schwermütige Weise durch das Auto. Die Musik war eine kaum glaubliche Klangmischung, deren drei auszumachende Elemente sich anhörten wie arabische Flöten, rückwärts laufende leise Polkavariationen auf dem Glockenspiel mit viel Hall und das Geräusch fließenden Wassers. Theo lauschte gebannt. Es war bezaubernd, fast im buchstäblichen Sinne, so als ob man auf die
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