Der Blumenkrieg
das in einem kugelrunden Lichtermeer schwamm. Und während die fremdartigen Elfenmelodien um ihn erklangen und seine Haare im feuchten Wind flatterten, hatte er nicht den geringsten Zweifel daran, daß sie über das Himmelszelt verstreute Edelsteine waren, wenn nicht gar die Augen von Göttern. Erst als er sich eine halbe Stunde später auf seinen Sitz zurücksinken ließ, bemerkte Theo, daß seine Backen naß waren und daß er lange geweint hatte.
E twas strich über seine Nasenhärchen, und er wachte mit einem Niesreiz auf.
»Untersteh dich!« sagte Apfelgriebs scharf.
»Dann geh von meinem Gesicht weg.« Er kratzte seine juckende Nase und versuchte sich aufzusetzen, mußte aber feststellen, daß das Mädchen wieder herübergerutscht war und auf seinem Arm lag. Draußen war es stockfinster; die vom Schiebedach umrahmten Sterne waren für irdische Verhältnisse zwar immer noch phantastisch, aber gegenüber vorher deutlich geschrumpft.
»Wir sind nicht mehr in … wie hieß es noch mal?« fragte er schlaftrunken.
»Sternenlicht. Schon seit Stunden nicht mehr. Wir fahren gerade über die Grenze von Efeu. Wir werden bald in der Stadt sein.« Mit einem kurzen Flügelflattern landete die Fee auf seinem Knie. Soweit er es bei der trüben Innenbeleuchtung über den Türen erkennen konnte, sah sie angespannt und gereizt aus.
Wer wollte ihr das verdenken? dachte er. Sie hat nicht weniger durchgemacht als ich. Trotzdem hatte er gerade keine Lust, bei Bewußtsein zu sein – ihm war, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen. »Warum hast du mich aufgeweckt?« beschwerte er sich.
»Weil wir bald da sind und ich mit dir reden muß, bevor sie wach wird.«
»Sie ist gar nicht so übel.«
»Wundert mich nicht, daß du das denkst.« Apfelgriebs verschränkte die Arme über der Brust. »Aber das steht jetzt nicht zur Debatte. Wir müssen beschließen, wo wir aussteigen.«
»Wollten wir nicht zu diesem … na, diesem …«, er durchforschte sein zerfasertes Gedächtnis, »… Quellwasserplatz? Wo dieser Fingerhut wohnt?«
»Nein. Es sei denn, du wolltest unbedingt herausfinden, was mit bösen Menschenbuben passiert, die nicht auf Ältere hören.«
»Ältere? Lieber Himmel, wie alt bist du denn?«
»Alt genug, um mit dem Kopf und nicht mit anderen Teilen zu denken, wenn du’s genau wissen willst. Es ist mir egal, was Rainfarn sagt, aber wir werden uns nicht in Fingerhuts Hände begeben. Diese Blumen bilden sich ein, sie wüßten alles, aber ich bin in letzter Zeit in der Stadt gewesen, und ich habe gehört, was die Leute reden. Dieser Fingerhut und …«, sie dämpfte die Stimme, so daß Theo sich so weit zu ihr hinbeugen mußte, wie ihm das mit Poppis Kopf in der Achsel möglich war, »… und der Vater dieses Mädchens sind dicke Freunde. Und beide kungeln sie mit Fürst Nieswurz rum, und eine schlechtere Empfehlung kann es für uns gar nicht geben.«
»Wer ist dieser Nieswurz? Der Name ist, glaube ich, schon mal gefallen.«
»Darüber können wir später reden. Fürs erste solltest du das Reden mit deiner Freundin mir überlassen.«
»Sie ist nicht …«
Poppi regte sich. Sie hob den Kopf und strich sich eine pechschwarze Strähne aus den Augen. Sie trug ihre Haare kurz, noch kürzer als Apfelgriebs ihren burschikosen roten Bubikopf, doch ohne den Hut fielen ihr ständig die Stirnfransen in die Augen. »Theo …? Sind wir da?«
»Noch nicht«, versetzte Apfelgriebs knapp. »Schlaf weiter.«
Gähnend richtete sie sich auf und rekelte sich. »Bach und Schatten, ich muß ja schrecklich aussehen! Ich werde den Fahrer bitten, irgendwo anzuhalten, damit ich mich frisch machen kann, bevor wir in die Stadt kommen.«
»Genau darüber wollte ich mit dir reden, Jungfer«, begann Apfelgriebs, aber das Mädchen setzte sich kerzengerade hin und ergriff Theos Hand.
»Schau, wir sind da. Ich habe dir ja gesagt, es würde nicht lange dauern.«
Sie kamen um eine Kurve am Hang, und einen Moment lang blickte Theo nur etwas dümmlich auf die Rauchglasscheibe, die sie vom Fahrersitz trennte, und verstand nicht, wovon sie redete. Dann sah er die ersten Lichter im Rahmen des Seitenfensters.
Die Stadt war riesig, so groß, daß sie den ganzen Horizont einzunehmen schien. Auf diese Entfernung konnte er keine einzelnen Gebäude erkennen, sondern nur die Lichter in dem breiten, flachen Tal zwischen den Bergen, eine derart ungeheure Lichterschwemme, als ob jemand einen Schubkarren mit Diamanten, Smaragden und Saphiren am Boden
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