Der Blumenkrieg
unheimliche Anziehung ging von ihm aus, die nichts mit Sex zu tun hatte. Wenigstens hoffte Theo, daß sie nichts mit Sex zu tun hatte.
»Chrysantheme! Da bist du. Wo sind Nuschelwuschel und das Däumlingsmädchen abgeblieben?«
»Oben.«
»Ihr habt gerade einen Mordsspaß verpaßt. Einer von den Lichtnelken hat sich über die Nieswurz-Ordner lustig gemacht, was die jedoch gar nicht so lustig fanden. Gerade wurde Lichtnelke auf einer Bahre hinausgetragen, aber er hat die ganze Zeit weitergespottet, selbst als sie ihn in die Sanitätskutsche geschoben haben …«
»Hysterisch.« Theo wurde von einer schreienden Stimme abgelenkt, die von oben kam und sehr laut sein mußte, wenn er sie über das Dröhnen und Schrillen der Musik hinweg hören konnte. Kaum war er die Treppe hinaufgeeilt, da flog ihm im Durchgang zum Seitenzimmer etwas Kleines ins Gesicht und schlug mit flatternden Flügeln und zappelnden Gliedern kurz auf ihn ein wie ein aufgeregter Vogel.
»Da bist du ja!« rief Apfelgriebs, als sie ihn erkannte. »Oh, und der junge Fürst gleich mit. Ich wollte dich gerade holen. Wegen deinem Freund Segge.«
Zumindest Theo mußte das nicht mehr gesagt bekommen. Wuschel Segge, der offenbar ein bißchen mehr getrunken hatte als das absolute Optimum, stand auf dem Tisch und brüllte die Schar adeliger Elfensprößlinge an, mit denen Poppi vorher zusammengesessen hatte. Theo war dankbar, daß sie im Augenblick nirgends zu sehen war – es war weiß Gott schon schwierig genug, die Verwicklung zwischen ihnen beiden zu entwirren, auch ohne daß ein stockbesoffener Querz für weitere Komplikationen sorgte.
»… Und bloß weil ihr in die richtigen Familien geboren wurdet, meint ihr, ihr wärt besser … besser als alle annern …!« Wuschel schwankte und richtete einen zitternden Finger auf die Elfenschar. »Ihr meint, alle annern wonn … wollen … wollen wie ihr sein!«
Poppis Begleiter, der junge Elf mit der Zigarettenspitze, erblickte Zirus und rief: »Ah, da bist du ja, Jonquille! Gehört der zu dir? Wenn ja, dann bringst du ihn besser zum Schweigen, bevor jemand empfindlich reagiert und ihn sich vorknöpft.«
»Alles klar, Fingi«, sagte Zirus. »Ich denke, wir sollten ihn langsam heimwärts befördern …« Aber Wuschel Segge war nicht so einfach mundtot zu machen.
»Ich gehöre zu niemandem!« kreischte er. »Ihr flügellosen Dreckskerle besitzt vielleicht die Macht, aber mich besitzt ihr nicht!«
Alle Augen im Raum waren jetzt auf ihn gerichtet, und Theo sah jemand hinter sich auf der Treppe umdrehen und nach unten zurückgehen, vielleicht um die bulligen Ordnungskräfte zu alarmieren. Wenn Wuschel ins Gefängnis kam, dann konnte es gut und gern sein, befürchtete Theo, daß er auch dort landete. Einen Moment lang dachte er an Flucht – er war dem kleinen Querz in keiner Weise verpflichtet, oder? –, aber bei der Vorstellung, durch die fremden Straßen zu irren, wurde ihm klar, wie unsinnig das wäre. Er war erleichtert, als Apfelgriebs sich wieder auf seiner Schulter niederließ. »Wir müssen ihn hier wegbringen«, sagte er. »Sofort.«
»Das hast du scharf erkannt, Bürschchen.«
Poppi Stechapfels vorheriger Begleiter debattierte richtiggehend mit Wuschel – oder vielleicht spielte er auch nur ein bißchen Katze und Maus mit ihm. »Flügellos?« sagte der junge Elf mit einem trägen Grinsen. »Hast du dich denn nicht genauso entschieden? Wenn du Flügel so liebst, du kleiner Klassenkämpfer, wo sind dann deine?«
Wuschel Segge stieß einen betrunkenen Wutschrei aus. Er ging in die Knie, und eine Schrecksekunde lang war Theo überzeugt, er werde sich auf das wohlgeborene Lästermaul werfen. Theo und Zirus sprangen beide auf den Querz zu, doch dieser stellte nur sein Glas auf dem Tisch ab, um sich daraufhin aufzurichten und sich das Hemd über den Kopf zu zerren. Theo und Zirus schafften es zwar, ihn an den Armen zu fassen, doch Wuschel wehrte sich mit erstaunlicher Kraft, und obwohl Jonquille eisern festhielt, war Theo dazu nicht in der Lage. Wuschel Segge kehrte dem Tisch junger Elfenadeliger den Rücken zu, um ihnen seine zwei wulstigen rosa Narben zu zeigen.
»Wo meine Flügel sind?« kreischte er. »Weg! Abgeschnitten! Weil meine Mutter wollte, daß ich einer wie ihr werde! Aber ich wünschte, ich hätte sie noch! Versteht ihr? Denn ein Elf ohne Flügel ist … ist nichts! Ein erbärmlicher Fußgänger!«
Zirus riß den Querz unsanft vom Tisch herunter und legte ihm sein Hemd wieder um, bevor
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