Der Blumenkrieg
Sackgasse, wo das Lager an den alten steinernen Uferdamm stieß. Eine Menge hatte sich um die Musiker versammelt; Theo wurde ein bißchen mulmig zumute, als er sah, daß sie alle Goblins waren, und zudem nicht von der freundlichen, zivilisierten Sorte wie Riegel. Die Musiker und der Großteil der Menge waren klein, hager und hart, die meisten mit abgerissenen, erdfarbenen Sachen bekleidet. Etliche trugen auch buntere Stoffe, Gewänder in Farbtönen, die man selbst bei der trüben Beleuchtung als rot und gelb erkennen konnte, und von diesen Goblins tanzten viele. Er brauchte erstaunlich lange, um zu merken, daß dies Goblinfrauen sein mußten. Soweit man ihre langnasigen Gesichter unter den Kapuzen, die viele aufhatten, erkennen konnte, unterschieden sie sich kaum von denen der Männer, doch was ihn schließlich sicher machte, waren ihre Körperformen: schlank über der Taille, doch mit breiteren Hüften als Kleiderhaken oder die anderen Goblins, die er kennengelernt hatte.
Ein paar hielten inne und musterten ihn – zum Teil ein wenig mißtrauisch, fand er –, wandten aber ihre Aufmerksamkeit bald wieder der Musik zu. Ungefähr sieben oder acht Goblins spielten mit langen, spinnenbeinartigen Fingern: einer blies ein Instrument mit zwei langen Röhren, das wie eine gegabelte Blockflöte aussah, zwei andere spielten gewöhnlichere Flöten oder Pfeifen, ein relativ großer Goblin mit langem Bart hielt etwas auf dem Schoß, das wie ein Paddel mit Saiten aussah, und die übrigen bearbeiteten diverse Trommeln und Rasseln. Genau konnte er es nicht erkennen, weil die tanzenden Frauen und auch einige tanzende Goblinmänner sich vor den Musikern hin und her wiegten.
Die Absonderlichkeit der Szene und die beinahe schmerzhaft unbekannte Musik lösten einen weiteren Anfall von Schwermut bei ihm aus. Er schloß die Augen, nur halb darauf konzentriert, wie die Töne der Blasinstrumente das eintönige Zupfen des Musikpaddels und das komplizierte, fast arrhythmische Geprassel der Trommelschläge umflochten. Was zum Teufel mache ich hier? Außer natürlich am Leben bleiben. Ich erlebe das größte Abenteuer, das es überhaupt geben kann, und ich habe überhaupt keinen Sinn dafür, ich will nur nach Hause. Wenn ich Großonkel Eamonn wäre, würde ich etwas darüber schreiben, aber ich habe ja nicht mal die Aufnahmeprüfung fürs Junior College geschafft. Was bin ich letztlich? Ein Penner. Ein Elf vielleicht, auch wenn er das immer noch nicht recht glauben konnte, aber dennoch definitiv ein Penner. Ein arbeitsloser Sänger. Ein Lieferfahrer für einen Floristen, ohne Freundin und ohne Familie. Das ist das witzigste an der ganzen Geschichte: daß jemand meint, es wäre die Mühe wert, mich zu entführen oder zu töten. So ein Schwachsinn! Ich kann mich ganz gut selbst um die Ecke bringen. Gebt mir nur noch dreißig oder vierzig Jahre …
Er fing langsam an, Muster in den Polyrhythmen zu hören, eigenartige Schlagzeugellipsen, Elemente, die wegblieben und dadurch die Elemente, die drinblieben, verstärkten. Er spürte, wie er sich mitwiegte. Echt scharf! Wie ein Börsenmakler bei einem Jazzfestival, dachte er verächtlich. Zu doof, um zu merken, daß er uncool ist. Aber das war nicht fair. Die meiste Zeit seines Lebens war er der festen Überzeugung gewesen, daß man nicht cool sein mußte, um für Musik empfänglich zu sein, ja, daß es nicht einmal etwas ausmachte, wenn jemand gern uncoole Musik hörte. Das war eine der Sachen, die ihn an Kris Rolle und den anderen in der Band geärgert hatten, diese jugendliche Gewißheit, daß es gute Musik gab und schlechte Musik und daß sie wußten, was gut und was schlecht war. »Blödsinn«, hatte er ihnen einmal entgegengehalten. »Ein Teenie, die sich für eine Boy Group die Seele aus dem Leib kreischt, ein Mönch, der bei gregorianischen Gesängen auf seinen Gott abfährt, oder John Coltrane persönlich, wenn er auf einer Leiter aus sechzehn Tönen zum Himmel emporsteigt, das ist alles dasselbe. Wenn etwas dich mitreißt, ist es gut.« Das war zu der Zeit, als er noch engagiert genug gewesen war, um mit Idioten wie Kris zu streiten. Als er noch engagiert gewesen war.
Allmählich hörte Theo ein paar Strukturen aus der Musik heraus, bekam eine schwache Ahnung davon, wie sie war und auch, vielleicht noch wichtiger, wie sie nicht war. Wenn Leute etwas Unbekanntes hörten oder sahen, mußten sie es mit etwas vergleichen, das sie kannten. Das war in Ordnung. Aber diese erste Einordnung mußte
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