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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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geblieben?«
    Die Menge war jetzt still. Theo hatte vergessen, daß Wuschel neben ihm stand, auch daß er selbst nur einer unter Hunderten, nein, bestimmt unter Tausenden war. Es war, als ob die kleine Gestalt dort auf der Brücke ihn allein ansprach.
    »Aber, ähem, ich höre euch fragen, was weiß ein Goblin von solchen Dingen? Was weiß ein Goblin von den prachtvollen Herren Elfiens, die die Welt zähmten, aber in ihrer Weisheit das Herz der Welt wild ließen? Nun, ich werde euch eine erstaunliche Eröffnung machen – damals gab es auch schon Goblins! Ja, nicht wahr, das ist schwer zu glauben. Doch in jenen längst vergangenen Zeiten lebten die Urahnen meines Volkes, und auch sie waren stattlich und kühn. Sie zogen über die Ebenen und durch die tiefen Wälder, sie sprachen mit den Vögeln, sie schwammen in eisigen Flüssen und fürchteten keinen Wassergeist, sie liefen unter den Sternen dahin und sangen im Laufen zu diesen Sternen empor – und die Sterne sangen zurück. Noch erstaunlicher ist, daß sie niemandem Untertan waren. Wenn einer der großen Baumfürsten Goblingebiet durchqueren wollte, brachte er Geschenke und gab sie den Goblins, und sie hielten ein Festmahl miteinander. Und wenn er das Goblingebiet durchquert oder im Goblinwald gejagt hatte, dann machte er ihnen abermals Geschenke und dankte ihnen. Und wenn ein Goblinhäuptling das Land eines Baumfürsten durchqueren wollte, um den Vögeln zu folgen oder neue Weidegründe für seine Pferde oder Schafe zu finden, dann brachte er dem Baumvolk Geschenke, und sie hielten ein Festmahl miteinander.
    Ja, ich weiß, für unsere zivilisierten Ohren klingt das befremdlich, aber so war es in den ältesten Zeiten, als es noch niemand anders wußte.
    Und über alle wachten der König und die Königin. Hört genau hin, denn ich will den Jüngsten unter euch ein großes Geheimnis verraten. Ihr Älteren werdet es sicherlich kennen, aber die Kinder werden darüber staunen.«
    Theo merkte, wie er sich unwillkürlich vorbeugte, ein Weizenhalm im Wind unter vielen tausend anderen, die sich alle in dieselbe Richtung neigten.
    »Das Geheimnis lautet: Der König und die Königin – sie waren auch der König und die Königin der Goblins! König Goldblick und Königin Silberklaue nannten wir sie. Jawohl! Und sie herrschten auch über die Zwerge und die Pitzel, die Feen, Gnome, Nissen, über alle Geschöpfe Elfiens! Ein König! Eine Königin! Tief im Alten Hügel im Mittelpunkt Elfiens saßen sie auf ihren Thronen, in Dunkelheit gewandet und mit Luft und Licht gekrönt, und die Ordnung von allem lag in ihren Händen. Wie sehr sie die hohen Baumfürsten mit den leuchtenden Haaren liebten, so liebten sie doch die schlauen, fingerfertigen Gnome, die pfeilschnellen Feen oder die lachenden, freiheitsliebenden Goblins nicht minder. Es gab Geschöpfe, die ihnen keine Ehre erwiesen, die Riesen etwa, doch selbst der Wind, der sie emporträgt, wird nicht, ähem, von allen Vögeln geliebt.
    Dies ist natürlich eine Goblingeschichte, und wie ihr alle außer den Jüngsten wißt, haben Goblingeschichten immer ein Loch in der Mitte. Die Baumfürsten sind inzwischen dahingegangen, sie liegen in ihren Gräbern im Domhain, der den Alten Hügel in Mitternacht umringt. Ihre Enkel und Urenkel und Ururenkel herrschen in diesen Tagen über Elfien, und wo einst die hohen Bäume das Land bekleideten und von Sonne und Mond tranken und dabei doch allen Schutz gewährten, die unter ihnen standen oder in ihren Ästen nisteten, da sind die heutigen Blumenfürsten zu emsig damit beschäftigt, sich selbst mit bunten Farben zu bekleiden und zum Licht emporzusteigen, als daß sie anderen Schutz bieten könnten.
    Auch der König und die Königin sind inzwischen tot, und mit ihnen ist die Ordnung untergegangen, die jedem Goblin, Elf, Troll und Waldschrat gleiche Gaben verlieh. Ja, es ist erstaunlich, besonders für die Kinder unter euch – die anderen sind alt und weise und wissen diese Dinge bereits –, aber es war einmal eine Zeit, da gab es noch keine Stadt, da gab es noch keine Knechtschaft, und da kam die Kraft, ein Feuer zu machen oder den Regen herabzurufen oder Krankheiten zu heilen, nicht aus den Fabriken der Blumenfürsten, sondern direkt vom König und der Königin selbst. Sie entströmte ihnen wie das Wasser eines großen Flusses, damit alle, Mann, Frau und Kind, an seine Ufer gehen und sich nehmen konnten, was sie brauchten. Wie altmodisch! Wie unpraktisch! Denn wie jedes Goblin- und Elfenkind

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