Der Blumenkrieg
gebrachten letzten Willens.
Ratlos und enttäuscht nahm sich Theo noch einmal die Seiten vor, die Dowds jähem Abbruch der Aufzeichnungen vorausgingen, fand aber keinen Hinweis darauf, was ihn zum Aufhören veranlaßt haben könnte. Er beschloß, zu dem Punkt zurückzugehen, wo er mit dem flüchtigen Überfliegen begonnen hatte, und aufmerksamer zu lesen, doch das war jetzt nicht mehr halb so spannend, wo er wußte, daß die Geschichte keine richtige Auflösung finden würde. Er versuchte wie immer, sich die vielen erfundenen Namen und Orte zu merken und der verwickelten Handlung zu folgen, doch er leerte gerade das vierte Bier, und die Augen wurden ihm schwer. Der Himmel war mittlerweile schieferblau, die Bäume nur noch Schatten.
Ich sollte wirklich aufstehen und Licht machen …, war sein letzter bewußter Gedanke.
A nscheinend war er aufgestanden und hatte irgendwie Licht gemacht, bevor er eingenickt war, denn obwohl der Himmel vor dem Fenster schwarz war, konnte er die Umrisse des Küchentresens vor dem Spülbecken, die Kurve des Wasserhahns und die weiße Front der kleinen Mikrowelle ganz deutlich erkennen; alles war in ein flackerndes gelbes Licht getaucht. Er fühlte sich dumpf benommen, als ob er ordentlich einen draufgemacht und es nicht bei ein paar Bier belassen hätte.
Ich sollte die Glühbirne auswechseln, dachte er.
Doch das Licht kam von den Regalen hinter dem Spülbecken, nicht von einer der Lampen im Raum, ein Flimmern, das zusehends heller wurde.
Feuer …?
Selbst dieser Gedanke schreckte ihn nicht aus seinem Sessel hoch – er kam sich vor, als ob jemand ein unsichtbares, mit Gewichten beschwertes Netz über ihn geworfen hätte. Er starrte auf das unterste Bord und beobachtete, wie der Schein wackelte, pulsierte und dann langsam ausging. Kurz bevor der leuchtende Punkt ganz erloschen und es finster im Raum war, erblickte er etwas, das ihn schließlich aus dem Sessel riß. Bis er den Lichtschalter erreicht hatte, war er zu dem Schluß gekommen, daß es sich um einen Traumrest handeln mußte und daß vier Bier doch zuviel gewesen waren.
So, und was lernen wir daraus? Vielleicht, daß deprimierte Leute nicht trinken sollten …
Doch als das Licht anging, saß die Frau immer noch auf dem Bord. Sie war immer noch ungefähr fünfzehn Zentimeter groß. Sie hatte Flügel.
»Schiet mit Zwiebeln«, sagte sie, die Arme um sich geschlungen, dann schwebte sie neben das Spülbecken auf den Tresen, wobei sie leicht mit den durchsichtigen Flügeln schlug, um den Flug abzubremsen. Ihre Füße, Beine und Arme waren nackt, den Rest bedeckte ein rotes Kleid, das wie Schmetterlingsschuppen schimmerte. »Das hat elend weh getan.«
»Jesses«, stöhnte Theo. »Was jetzt?«
Die winzige Frau blickte ihn stirnrunzelnd an. Sie war erschreckend leibhaftig, nicht im mindesten verschwommen oder schemenhaft. Sie hatte kurze, karottenrote Haare – keine sehr vorteilhafte Farbe in Verbindung mit einem knallroten Minikleid, stellte ein bis dahin unbemerkt gebliebener Beobachter in ihm fest – und ein herzförmiges Gesicht, das in der Augen- und Wangenpartie ein klein wenig zu breit war. Sie sah aus wie eine, die wahrscheinlich Sommersprossen hatte, doch falls dem so war, waren sie zu klein und nicht zu erkennen. Sie sah nicht gerade glücklich aus, aber warum sollte sie? Er war auch nicht glücklich.
»Das ist ein Traum, stimmt’s?« fragte er hoffend.
Sie bückte sich, rieb sich die Knie und richtete sich wieder auf. Er konnte es nicht fassen, wie klein sie war. Es war, als sähe man ein hübsches Mädchen am Ende der Straße, nur daß dieses hier anderthalb Meter entfernt in aller Deutlichkeit vor ihm stand. »Na, wenn das ein Traum ist, dann träume ich ihn auch, und in dem Fall werde ich den Antrag stellen, daß ich nächstes Mal einen besseren kriege, denn der hier ist das Letzte. Was jetzt, willst du bloß dastehen und mich anglotzen wie ein Trolltrottel, oder bekomme ich vielleicht einen Fingerhut Tee oder so was? Der Übergang hierher hat mich völlig zerschmissen.«
»Du … du bist eine Elfe.«
»Herzlichen Glückwunsch zu der Erkenntnis. Und du bist ein Mensch, damit wäre das geklärt. Ansonsten bin ich müde und kaputt und ausgesprochen schlecht drauf, fürchte ich, also wie wär’s jetzt mit dem Tee?«
Wenn das ein Traum war, was hatte der dann zu bedeuten? Von Frauen zu phantasieren ist ja gut und schön, aber von fünfzehn Zentimeter großen Frauen? Was sagt das über dein
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