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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Restaurant auf dem Camino Real halt, kaufte hinterher in einer nahegelegenen Buchhandlung von Ranke-Graves Die weiße Göttin, die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und ein Buch über die Beatles und fuhr zuletzt noch zu einem Einkaufszentrum, wo er in einem L L. Bean herumstöberte. Er kaufte sich eine Coleman-Lampe und eine gute Taschenlampe für den Fall, daß auf dem Berg einmal der Strom ausfiel, und liebäugelte kurz mit einem teuren Parka – im Winter wurde es ziemlich kalt dort oben –, aber an einem sommerlichen Tag Anfang September fiel es schwer, Begeisterung für ein kostspieliges, schweres Kleidungsstück aufzubringen. Schließlich hatte er seine zuverlässige Lederjacke, die ihn auf so manchem Abenteuer begleitet hatte. Na ja, jedenfalls auf so manchem Motorradausflug, von denen einige mehr als peinlich und dämlich gewesen waren, vom Standpunkt eines Dreißigjährigen aus betrachtet.
    Theo merkte, daß er die Heimfahrt vorsätzlich hinausschob. Er hielt an einer Spirituosenhandlung und kaufte sich einen Sechserpack Heineken, dann fuhr er im Licht der Abendsonne zurück den Berg hinauf.
     
    M it einem Buch auf dem Schoß und drei Bier im Bauch saß er müde im Sessel, müde und immer noch bedrückt von dem Gefühl, daß sich … nein, keine Katastrophe, das war ein zu starkes Wort, aber daß sich irgend etwas zusammenbraute. Es war kalt in der Hütte, aber er hatte nicht die Energie, aufzustehen und die Heizung anzustellen. Er hob seine Motorradjacke vom Boden auf und zog sie an.
    Langsam verlor er die Geduld mit dem Buch seines Großonkels. Die Beschreibungen waren interessant, ja faszinierend: Wenn Dowd auch als Schriftsteller seine Mängel hatte, war er doch ausgesprochen phantasiebegabt. Aber die Schilderung seines Lebens in der Elfenstadt war genauso anekdotisch und letzten Endes pointenlos wie seine Geschichten aus dem wirklichen Leben. Das Buch war eine kuriose und wahrscheinlich hoffnungslos unverkäufliche Mischung aus Fantasy ohne Abenteuer (wenigstens ohne richtige Abenteuer, wie die computerspielenden Drachenkämpfer sie suchten) und ausführlichem Reiseführer für ein Land, das kein Mensch je besuchen konnte.
    Er hatte jetzt nur noch fünfzig oder sechzig eng beschriebene Seiten bis zum Ende und blätterte immer wieder vor, abgelenkt von Überlegungen, was andere Leute wohl an einem schönen Donnerstagabend wie diesem machten – zum Essen ausgehen, ins Kino, in eine Kneipe. Und wenn er jetzt die Frau in der Bücherei einfach angesprochen hätte? Sie hatte kein Namensschild getragen, deshalb konnte er nicht einmal einen imaginären Dialog mit ihr führen. Wie würde eine wie sie wohl heißen? Eleanor? Elizabeth?
    Bei meinem Glück heißt sie wahrscheinlich Catherine.
    Das tat weh. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der ordentlichen Handschrift seines Großonkels zu. Keinerlei Zittrigkeit zu erkennen – sie sah überhaupt nicht aus wie die Schrift eines alten Mannes. Er mußte das Buch Jahre vor seinem Tod geschrieben haben. Dennoch wurde es jetzt, wo der Abend kam und es draußen dunkel wurde, allmählich schwer zu entziffern.
    Ein dicker, schroffer Tintenstrich lief quer über die Mitte einer Seite. Er folgte auf einen ganz belanglos klingenden Satz über ein Gelage in einem Spielsalon, wo er den jungen Fürstensohn namens Caradenus Soundso wiedergetroffen hatte, der bereits in der Bordellgeschichte vorgekommen war. Unter dem schwarzen Strich kam nichts mehr, und die vielen Seiten, die das Buch noch hatte, waren allesamt leer.
    Doch nein. Hier, mehrere Seiten vor dem Ende, sprang ihm zwischen dem ganzen blanken Papier plötzlich wie im Schnee verschüttete schwarze Farbe ein Nachtrag entgegen, ebenfalls von seinem Großonkel geschrieben, aber viel wackliger, in ungleichmäßig über die Seite gezogenen Zeilen und großen, hastig hingeworfenen Worten.
     
    Ich bin fertig mit meiner Geschichte. Ich werde sie nicht beenden, weil ich das Ende nicht ertrage. Ich hoffte, wo es in Wahrheit nichts zu hoffen gab, und geriet darüber in Schande und Finsternis. Ich wurde vertrieben, und der Rückweg ist mir ein für allemal versperrt, auch wenn ich die Kraft der Verzweiflung aufböte.
    Ich dachte, ich könnte davon berichten, doch es ist zu deprimierend. Ich habe ein Gut, das sich wenige Menschen erträumen können, mit meiner Hybris verspielt – jenem Mut, der selbst den Göttern verhaßt ist.
     
    Es machte ganz den Eindruck eines Bekenntnisses oder eines eilig zu Papier

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