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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den Vorhang zurückschlug, war da nur eine hell gekachelte Wand. Er hörte Stimmen, die den schwerfälligen, rauhen Tonfall der Oger hatten, und andere, die noch fremdartiger waren, doch sie alle schienen aus keiner eindeutigen Richtung heranzuschweben. Ein paarmal fragte er sich, ob sich in den breiten Dachbalken vielleicht Luftkanäle verbargen, durch die nicht bloß Luft, sondern auch Geräusche von einem Teil des Hauses zum anderen gelangten, doch falls es solche Kanäle gab, blieben sie ihm verborgen.
    Als die Lichter urplötzlich matter wurden und dann ganz ausgingen, ergriff Theo das blanke Entsetzen. Er blieb stocksteif stehen wie eine Maus, wenn die Katzentür aufgeht. Die Dunkelheit umgab ihn wie eine dichte, greifbare Masse, doch das jäh eingetretene totale Schweigen war noch dichter – kein Flüstern, kein leises, dumpfes Summen, nichts als eine vollkommene Grabesstille. Ihm war auf einmal überdeutlich bewußt, daß er ein Fremder an einem gänzlich unbekannten Ort war.
    Haben sie hier regelmäßig Stromausfälle? Er wagte nicht, sich zu rühren. Oder hat das noch Schlimmeres zu bedeuten? Ein Bild aus einem der Bücher seiner Kindheit stieg vor ihm auf, Theseus im finsteren Labyrinth, nicht ahnend, daß der schreckliche Minotauros hinter ihm stand.
    Er hatte kein Gefühl dafür, wie lange es dauerte, bis die Lichter im Flur wieder angingen, doch es war länger, als ihm lieb war: Das Wiedereinsetzen der körperlosen Stimmen war so beruhigend wie die abendlichen Heimkehrgeräusche der freundlichen Nachbarn in der Wohnung nebenan.
    Die Rückkehr des Lichts und der Stimmen löste jedoch seine übrigen Probleme nicht. Er irrte weiter durch Räume, die die Redakteure einer Architekturzeitschrift begeistert, leibhaftige Architekten allerdings ratlos gemacht hätten, fand singende Duschstrahlen in Bädern aus lebendem, aber rindenlosem Holz, trat auf dicke Teppiche, die den Eindruck machten, seine Füße gar nicht mehr gehenlassen zu wollen, und die ihm mit leisen, nicht zu verstehenden Stimmen etwas vorplapperten, aber eine Küche fand er genausowenig wie zurück in sein Zimmer oder wie irgendwelche lebenden Seelen, die er als solche erkannt hätte.
    Vor Angst um jede schüchterne Zurückhaltung gebracht, blieb er stehen und schrie: »Apfelgriebs? Apfelgriebs!« Wenn das wirklich die Stimme der Fee gewesen war, die er vorher durch eine feste, gekachelte Wand gehört hatte, warum sollte dann seine nicht auch zu ihr dringen? »Apfelgriebs? Wo bist du? Hallo! Ist da wer?«
    »Was wünschst du?« fragte eine weibliche Stimme kühl und sachlich wie eine Stewardeß, die einer Maschine voll gelangweilter Vielflieger die Verhaltensmaßregeln für Notfälle vorbetet. Theo schaute sich um, doch bis auf einen Tisch mit einem Zierbaum in einer rechteckigen Vase war er allein im Flur.
    »Wo bist du?« fragte er den Baum sicherheitshalber.
    »Im Haus.« Soweit er sagen konnte, kam die ruhige Stimme aus dem Nichts. »Brauchst du Hilfe?«
    »Ja. Ja, ich glaube schon. Wer bist du?«
    »Ich bin die Heinzel«, antwortete die Stimme. »Ich lebe im Haus. Du bist einer von Graf Rainfarns Gästen. Wie kann ich dir helfen?«
    Jesses, so einfach ist das? Ich wünschte, das wäre mir früher eingefallen. »Kannst du mir sagen, wie ich gehen muß? Wie ich zum Beispiel in mein Zimmer zurückkommen könnte, wenn ich wollte?«
    »Gewiß.« Die Heinzelstimme klang teilnahmslos, als wäre es unter ihrer Würde, sich mit derart einfachen Anliegen zu befassen.
    »Und nach draußen?«
    »Aus dem Haus hinaus?« Jetzt hörte sich die zarte Stimme ein wenig irritiert an. »Bedaure, du darfst das Haus ohne Graf Rainfarn nicht verlassen.«
    »Aha.« Na, das war immerhin eine klare Auskunft. Vielleicht ein bißchen klarer, als ihm lieb war. »Wie steht’s mit der Küche? Kannst du mir sagen, wie ich in die Küche komme?«
    »Möchtest du dich zu Fuß dorthin begeben?«
    Theo runzelte die Stirn. »Was für andere Möglichkeiten habe ich denn? Düsenrollschuhe? Straßenbahn? Klar, wenn sie in der Nähe ist, gehe ich zu Fuß.«
    »Ich könnte sie zu dir bringen, wenn dir das lieber wäre.«
    Das war ihm nun wirklich nicht geheuer. »Nein, danke, ich gehe lieber.«
    »Wie du willst. Geh geradeaus, bis du zum Ende des Flurs kommst. Dann rechts und sofort wieder rechts.«
    »Prima. Danke.«
    »Einen angenehmen Aufenthalt wünsche ich.«
    Er hatte nicht gemerkt, wie sie gekommen war, sofern man es so nennen konnte, aber wie sie ging, merkte er sehr wohl.

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