Der Blutengel
braucht man ja die entsprechende Zeit.«
Das sah Suko ein. Er kam noch mal auf die Hobbys zu sprechen und erntete ein mehrmaliges Kopfschütteln. Bis der Frau mit den schwarz gefärbten Haaren etwas einfiel. »Doch da war etwas!«, erklärte sie und hob den rechten Arm. »Ich erinnere mich daran. Es war bei einem Straßenfest, das wir durchgeführt haben. Da habe ich mal mit ihm sprechen können. Er erzählte mir, dass er geschieden ist, was heute ja leider zur Normalität gehört. Sei’s drum. Er hat wohl unter der Scheidung gelitten und sich in der Zeit nach der Scheidung irgendeiner Selbsthilfegruppe angeschlossen. Mit ihr zusammen wollte er wieder Kraft für sein weiteres Leben schöpfen.«
»Wissen Sie mehr über diese Gruppe?«
»Nein, eigentlich nicht. Sie soll sehr spirituell gewesen sein. Jedenfalls sprach er davon.« Sie dachte einen Moment nach. »Ja, von Wesen, die wir Menschen nicht sehen, die aber um uns herum sind und uns in gewissen Lebenslagen Schutz geben. Wen er damit genau meinte, das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Können es vielleicht Engel gewesen sein?«
Die Frau verzog die geschminkten Lippen. »Engel?«, wiederholte sie. »Das weiß ich nicht.«
»Das Wort ist nicht gefallen – oder?«
»Nein.«
»Hat diese Therapie denn einen Erfolg gezeigt?«, fragte Suko weiter.
»Ich kann das nicht sagen, denn ich habe mit ihm nicht mehr danach gesprochen. Wie ich schon sagte, es geschah auf einem Straßenfest. Danach sind wir hier nicht mehr so eng zusammengekommen. Da ging wieder jeder seiner Wege, was nicht heißen soll, dass wir uns nicht verstehen, aber man lässt sich die Freiheit.«
»Das ist gut.« Suko verneigte sich leicht und bedankte sich lächelnd für die Auskünfte. Für ihn wurde es Zeit, dass er wieder zurück in das Haus ging, dessen Tür nicht geschlossen war.
Auch die Wohnungstür stand offen. Die Männer arbeiteten noch. Sie trugen ihre dünnen Handschuhe, und auch der Arzt hatte sie übergestreift. Er hatte Suko durch Zufall entdeckt und schaltete seinen kleinen Recorder aus, in den er seinen Bericht gesprochen hatte.
Suko sah dem Gesicht des Arztes an, dass er keine zu positiven Nachrichten für ihn hatte.
»Ich habe getan, was ich konnte, Inspektor, aber ich muss Ihnen leider gestehen, dass ich Ihnen nicht groß weiterhelfen kann. Ich habe keine gewaltsame Tötung feststellen können. Wenn sie mich so locker fragen, würde ich auf Herzschlag tippen, aber das kann ich hier leider nicht feststellen.«
»Also keine Spuren von Gewalt?«
»Nein. Ich könnte sagen, das sein Körper gewaltfrei ist. Keine Wunde, keine Merkmale, die auf Schläge hinweisen, auch keine Würgemale am Hals. Der Mann ist normal gestorben, sage ich jetzt.«
»Und was können Sie über sein Blut berichten?«, erkundigte sich Suko.
Der Inspektor erlebte einen überraschten Blick. » Sorry , das habe ich nicht untersuchen können. Da bin ich ehrlich. Nein, das ist eine Sache der Kollegen. Außerdem hat er auch nicht geblutet.«
»Danke, Doc. Aber der Tote befindet sich noch im Raum. Oder ist er bereits...«
»Nein, nein, er liegt noch nicht in der Wanne.«
»Dann möchte ich ihn mir gern anschauen.«
»Bitte.«
Suko drängte sich in die kleine Wohnung. Der Einrichtung gönnte er keinen Blick, die Leiche war wichtiger. Er fand sie noch immer im Sessel sitzend.
Ihn interessierte besonders das Gesicht des Mannes. Durch die Scheibe hatte er es nicht so genau erkennen können. Oft zeigt der letzte Gesichtsausdruck eines Menschen, was er in den Sekunden vor seinem endgültigen Ableben gesehen hat.
Suko schaute sehr genau hin, und er bildete sich den Ausdruck nicht ein. Der Schrecken stand dem Toten noch wie eingraviert im Gesicht. Die Augen sagten nichts mehr aus, aber der Mund war auf eine ungewöhnliche Art und Weise verzerrt, was darauf hindeutete, dass ihm etwas Schlimmes, jedoch Gewaltloses widerfahren war.
»Sie stoßen sich an dem Gesichtsausdruck?«, hörte er die Stimme des Arztes dicht neben sich.
»Ja.«
»Darüber habe ich mich auch gewundert.«
»Und wie lautet Ihr Kommentar?«
Der Arzt hob die Schultern. Er wollte sich auch jetzt nicht festlegen lassen und meinte: »Nun ja, ich habe von einem Herzschlag gesprochen. Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, aber dieser Herzschlag könnte deshalb eingetreten sein, weil er etwas gesehen hat, dass ihm diesen Schrecken einjagte.«
»Gut, sehr gut.«
»Ach, Sie sind zufrieden?«
»In diesem Fall schon, wobei ich nicht unbedingt
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