Der Blutengel
daran erinnert. Wir werden sie jedenfalls nicht aus den Augen lassen, das verspreche ich.«
»Gut. Sorgen Sie bitte dafür, dass es keine weiteren Toten mehr gibt.«
»Das liegt nicht in unserer Hand, Sir.«
»Ich weiß, leider.«
Mein Gespräch war beendet, aber auch das meines Freundes Suko. Als ich ihn anschaute, sah ich das Lächeln auf seinen Lippen.
»Da haben wir Glück gehabt«, erklärte er. »Helen Spride lebt. Sie arbeitet auch nicht auswärts, sondern in einem dem Gefängnis angeschlossenen Blumenladen. Er stellt auch Kränze für Beerdigungen her, denn nicht weit vom Gefängnis befindet sich ein Friedhof.«
»Da haben wir ja alles zusammen.«
Iris King hatte uns zugehört. »Was... was... tun Sie denn jetzt?«, fragte sie.
»Wir werden jetzt losfahren.«
»Zu Helen?«
»Wohin sonst. Kommen Sie...«
***
Die Fahrt ging in Richtung Süden. An Brixton vorbei und auch über den Londoner Ring hinweg, der die Stadt umschloss. Etwa zwischen Brixton und Croydon mussten wir von der A 212 weg und fuhren durch eine recht flache Landschaft mit Feldern, auf denen ganze Batterien von Sonnenblumen standen, die gepflückt und gekauft werden konnten.
Mich machte der Anblick von Sonnenblumen zwar nicht melancholisch, aber er zeigte mir, dass der Hochsommer in seinen letzten Zügen lag und bald Abschied nehmen würde.
Die Schwüle der letzten Tage war weggetrieben worden. Über uns hatte sich ein klarer, mit weißen Wolken bedeckter Himmel aufgebaut, und von den starken, überfallartigen Regengüssen war die Stadt an der Themse verschont geblieben. Dafür hatten sich in Cornwall schreckliche Katastrophen ereignet. Durch plötzliche Wassermassen war eine ganze Ortschaft vernichtet und sogar Häuserteile und Autos bis in Meer hineingespült worden. Leider hatte es auch Tote gegeben.
Es waren nur wenige Menschen vorhanden, die sich für die Sonnenblumen interessierten und sie kauften. Vielleicht kam die Zeit noch.
Hinter uns auf der Rückbank saß Iris King. Sie sah wieder aus wie ein kleines Mädchen. Zwar schaute sie aus dem Fenster, doch ich glaubte nicht, dass sie die Natur wirklich wahrnahm.
Eine schmale Straße zweigte ab zu unserem Ziel. Wir sahen auch das Schild, das auf den Friedhof hinwies, doch daran fuhren wir vorbei. Wieder durchrollten wir Felder, auf denen Blumen wuchsen, und hinter ihnen wuchs bereits der Knast in die Höhe.
Das war kein altes hohes Gemäuer. Mehr ein Bungalow, der auf einem großen Grundstück stand. Hin hoher Zaun schirmte es ab, vor dem wir halten mussten.
Eine Wächterin trat an das Gitter heran. Durch die Stäbe sahen wir ihr misstrauisches Gesicht. Suko stieg aus, um mit ihr zu sprechen und um ihr seinen Ausweis zu zeigen.
Die Uniformierte betrachtete ihn genau und nickte. Wenig später fuhren wir auf das Gelände, in dem die Frauen ihrer Gartenarbeit nachgingen. Dann hielten wir auf einem kleinen Parkplatz an einem Seitentrakt des Hauses. Als wir ausstiegen, hörten wir Babygeschrei. Es erinnerte uns daran, dass hier auch junge Mütter einsaßen.
Empfangen wurden wir von der Chefin persönlich. Sie hieß Charlotte March, war eine Frau um die 40, trug eine blaue Bluse und einen grauen Rock, und besaß den scharfen Blick eines Falken hinter den Gläsern ihrer Brille. Die dunkelgraue Frisur war gut frisiert, und wer sie so sah, der musste sie einfach als Respektsperson ansehen.
»Ich weiß, Sie sind angemeldet. Kommen Sie bitte mit.«
Sie führte uns in ihr Büro. Am Fenster sahen wir kein Gitter, bekamen Kaffee angeboten und lehnten ab.
»Es geht uns um Helen Spride«, sagte ich. »Wir möchten sie so schnell wie möglich sprechen.«
»Ja, das wurde mir bereits gesagt.« Mrs. March runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, meine Herren und auch meine junge Dame, aber es könnte Probleme geben, wenn Sie mit ihr reden wollen. Das sage ich ganz ehrlich.«
»Wieso das?«
»Sie ist in ihrer Welt versunken. Das passiert schon mal. Da können Sie nichts mit ihr anfangen. Das haben auch wir lernen müssen, wobei wir zuerst dachten, dass sie uns Theater vorspielt, doch so leicht ist das nicht zu erklären.«
»Was tut sie denn?«, fragte Suko.
Die Frau hob ihre kräftigen Schultern an. »Nichts, was gefährlich ist. Sie hält sich für einen Engel, und sie behauptet steif und fest, Kontakt zu ihnen zu haben.«
»Was sagen Sie?«
Mrs. March lächelte knapp. »Mich dürfen Sie nicht fragen, denn ich stehe zu sehr mit beiden Beinen auf dem
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