Der Blutengel
unsere erste Überraschung überwunden hatten. Gleichzeitig sprangen Suko und ich vor. Ich bekam Helen zu fassen, während sich mein Freund um Iris kümmerte.
Die beiden Frauen »klebten« fast aneinander. Wir mussten wirklich viel Mühe aufwenden, um sie voneinander zu lösen, und als wir es endlich geschafft hatten, taumelte Iris fast bis zur Tür hin zurück, wo sie sich dann fangen konnte.
Sie holte scharf Luft. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht, und ich wusste sie bei Suko in guten Händen. Deshalb konnte ich mich um Helen Spride kümmern.
Sie war ebenfalls zurückgewichen. Stand vor ihrem Bett. Schaute mich funkelnd an und wischte mit dem Unterarm über ihre Lippen hinweg, ohne dass sie ein Wort sagte.
Klar, sie sprach nicht. Das ging schon okay. Aber mir fiel in diesem Fall noch etwas anderes auf. Nicht allein, dass sie schwieg, es war auch noch etwas anderes mit ihr passiert, und das wollte ich im ersten Moment kaum glauben.
Sie atmete nicht!
***
Im ersten Moment war ich wirklich von den Socken. Ich hielt es für eine Täuschung, mein normaler Menschenverstand sprach dagegen. Nach derartigen Situationen musste ein Mensch einfach Luft holen. Etwas anderes gab es nicht.
Es sei denn, die Person war kein Mensch mehr.
So etwas gab es leider auch. Da hatten wir unsere Erfahrungen sammeln können, und mir schoss der Begriff Zombie durch den Kopf. Nur wollte ich Helen Spride nicht als eine lebende Leiche ansehen wie manche Gestalten, die aus den Gräbern krochen und einfach furchtbar aussahen.
Ich schaute sie mir noch genauer an.
Nein, sie brauchte keine Luft zu holen, und sie brauchte sie auch nicht auszustoßen. Es war unglaublich, und als ich Suko’s Stimme hörte – ihm war sicherlich mein Verhalten aufgefallen , winkte ich nur ab. Er verstand und hielt sich zurück.
Ich konzentrierte mich wieder auf Helen Spride. Sie schien zu ahnen, dass sich die Situation verändert hatte, denn in ihren Augen erschien ein unruhiger Ausdruck.
»Wer bist du wirklich?«, flüsterte ich.
»Geh! Geh schnell!«
»Nein, ich warte noch«, sagte ich mit leiser Stimme. »Ich will es herausfinden.«
»Ich bin noch nicht fertig.«
Die Antwort hatte ich schon begriffen. Doch ich glaubte nicht daran, dass sie auch so gemeint war, wie ich es als normaler Mensch eigentlich aufnahm.
Wer war hier noch nicht fertig!
Sie – Helen?
»Du bist nicht fertig?«, fragte ich. »Was ist mit dir passiert? Was hast du noch vor?«
»Du bist tot!«
»Nein, ich lebe!«
»Ich bin noch nicht fertig!«
Sie wiederholte den Satz, und ich fragte mich, ob er auch mit ihrer normalen Stimme gesprochen worden war. Zwar hatte sie beim Sprechen ihren Mund bewegt, für mich allerdings nicht synchron mit dem, was sie eigentlich sagen wollte.
Sprach aus ihr eine andere Person? Oder ein anderes Wesen, das in sie eingedrungen war? Hatte dieses Wesen es nicht auch bei den anderen Menschen vorgehabt?
Ich wollte es herausfinden. Schon einmal hatte mir das Kreuz den richtigen Weg gewiesen, und wieder war ich gezwungen, es einzusetzen. Ein Kreuz gegen einen Engel?
Ich holte es schnell aus meiner Seitentasche hervor. Vielleicht sah es Helen an wie Zauberei, jedenfalls riss sie die Augen auf, als sie es sah, und einen Moment später drückte ich es ihr zwischen die Hände...
***
Bei dieser Aktion dachte ich an die kleine Totenkammer im Krankenhaus. Da war Iris mit dem Kreuz konfrontiert worden, und seine Kraft hatte sie von einem anderen Einfluss befreit.
Ob ich in diesem Fall darauf setzen konnte, war schon fraglich, denn Helen hatte sich mir gegenüber anders präsentiert als Iris.
Und jetzt hielt sie das Kreuz fest. Es pappte praktisch zwischen ihren Handflächen.
Sie brüllte auf.
Das schreckliche Geräusch gellte durch den Raum. Zwischen ihren Händen erschien das helle Licht. Sie wurde zurückgeschleudert und prallte auf ihr Bett.
Ihr Gesicht war verzerrt. Die Haut schien in Fetzen reißen zu wollen. Sie warf sich von einer Seite auf die andere, und ich stand auch nicht mehr allein vor dem Bett. Suko war zu mir gekommen und schaute zu, was die Frau tat.
Es war ein Kampf, das mussten wir einsehen. Und es war auch zugleich ein Todeskampf, denn sie bewegte sich anders als ihre Freundin Iris. In mir breitete sich das Gefühl aus, dass sie sich gar nicht befreien wollte oder konnte. Sie steckte in einer Klemme, die sie sich selbst geschaffen hatte.
Ihr Körper wurde von unsichtbaren Kräften malträtiert. Helen lag auf dem Bauch, aber sie
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