Der Blutengel
die gab es.«
»Hat sie nie einen Namen genannt oder sich selbst vorgestellt?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern. Es wurde ja von anderen Dingen gesprochen. Von unserer Zukunft, die so blendend und anders aussehen würde. Aber es gab keinen Namen, und das brauchten wir auch nicht. Uns war nur wichtig, das wir unsere eigenen Krisen überstanden. Alles andere konnte man vergessen.«
»Das verstehe ich.«
Wir kamen einfach nicht weiter. Wir saßen hier wie bestellt und nicht abgeholt und fragten uns, ob wir tatsächlich alles richtig gemacht hatten oder den falschen Weg gegangen waren.
Es gab keine Menschen mehr, die noch hätten kommen können. Wir mussten uns einzig und allein auf Iris King verlassen, die ebenfalls darauf wartete, das etwas geschah.
Auch wenn der Eingang zum Zelt nicht ganz geschlossen war, konnten wir nicht eben von einer tollen Luft sprechen. Tagsüber hatte die Sonne auf die Plane geschienen, und so staute sich die Hitze darunter. Von einem kühlen Luftzug konnte kaum die Rede sein, und ich spürte, dass meine Unruhe immer mehr zunahm.
»Ich schaue mich mal draußen um.«
»Okay, John.«
Mich duckend verließ ich das Zelt und blieb auf dem weichen Rasen stehen. Die Dämmerung war verschwunden. Sie hatte der Dunkelheit Platz schaffen müssen, und diese hatte sich jetzt wie ein großer Sack mit Löchern über den Park gestülpt. Durch die Löcher hindurch schaute ich gegen das Licht. Es waren die Sterne, die so funkelten und den Himmel zu einem prächtigen Feld machten.
Je dunkler es wird, um so ruhiger wird es auch. Und man hört weit entfernte Geräusche. Ich vernahm leise Musik. Irgendwo am Ufer des Kanals wurde gefeiert. Die Menschen nutzten die noch lauen Nächte des allmählich vergehenden Hochsommers aus, um der warmen Luft in ihren Häusern und Wohnungen zu entgehen.
Es war eine stille Zeit, in der sich der Mensch eine Ruhepause gönnen sollte. Ich war in dieser Nacht dazu nicht in der Lage. Ich wusste, dass etwas lauerte, und mein Blick glitt immer öfter hoch zum Himmel.
Da gab es nichts. Es blieb weiterhin sternenklar und auch angenehm kühl. Manchmal raschelte das Laub in den Bäumen, wenn der Wind durch das Geäst strich.
Ich hatte das Zelt fast umrundet, als es passierte. Und zwar direkt in meiner Nähe.
Etwas huschte herbei. Es kümmerte sich auch nicht um die Zeltwand und nicht um mich, aber mein Kreuz reagierte.
Es gab einen leichten Wärmestoß ab!
»John!«
Suko’s Stimme erreichte mich aus dem Zelt, in das ich blitzschnell hineinschlüpfte...
Iris King und auch Suko saßen nicht mehr auf ihren Plätzen. Sie waren aufgestanden, wobei sie allerdings ihre Haltungen verändert hatten. Jetzt schauten sie gegen die Decke, drehten sich um die eigenen Achsen, um das zu verfolgen, was in das Zelt eingedrungen war.
Sie sahen nichts, ich sah nichts. Nur suchte ich mir einen besseren Platz aus und stellte mich in die Mitte der kleinen Manege.
»Ich habe mich nicht geirrt, John. Da ist etwas gewesen, auch wenn du es jetzt nicht siehst.«
»Das weiß ich. Mein Kreuz hat reagiert.«
»Gut.«
Es vergingen Sekunden, in denen nichts passierte. So konzentrierte ich mich wieder auf unseren Schützling, der in diesem Moment so etwas wie ein Mittelpunkt war.
Iris hatte ihr Verhalten verändert. Zwar stand sie neben Suko, aber wer ihr Gesicht im schwachen Licht sah, der sah sofort, dass sich ihre Lippen bewegten. Sie sprach oder unterhielt sich. Nur war nicht zu sehen, mit wem sie kommunizierte. Für uns waren die Gestalten unsichtbar.
Suko deutete auf sie.
Ich verstand das Zeichen und stieß sie an. Erst beim zweiten Versuch reagierte sie.
»Ja, was denn?«
»Du hast Kontakt?« Ich war bewusst in einen vertrauten Tonfall gefallen.
»Er ist da.«
»Wer?«
Iris reckte die Arme gegen die Zeltdecke. »Ich spüre ihn, und ich höre ihn. Ich kenne die Stimme. Sie... sie... tönte durch meine Ohren. Sie ist in meinem Kopf und...«
Ich berührte das Kreuz, das ich in die Tasche gesteckt hatte und das eine leichte Wärme abgab. »Was sagen die Stimmen?«
Iris schüttelte den Kopf.
Ich versuchte es andersherum. »Frag sie oder ihn nach dem Namen. Bitte.«
Iris war nervös. Sie zitterte. Sie stand plötzlich im Mittelpunkt, und ich überlegte, wie ich ihr helfen konnte. Noch wollte ich nichts unternehmen. Deshalb ließ ich das Kreuz stecken.
»Tu es!«
Sie bewegte ihre Lippen. Sie stellte eine Frage, doch die war unhörbar für mich. Ich sah ihr auch nicht an, ob sie eine
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