Der Blutfluch: Roman (German Edition)
»Du kannst es nur herausfinden, indem du jeden Tag annimmst und gestaltest, wie es dir möglich ist.«
Sie verfielen in Schweigen.
Rupert hatte genügend Stoff zum Nachdenken, um das Gespräch nicht länger zu suchen. Was erwartete er selbst von seinem Leben? War es nicht oberflächlich, nur nach Ruhm und Ritterehren zu streben?
Ohnehin, Ritterehren … Er hatte zu Hause alles einem Burgvogt überlassen, um an Bertholds Seite den Ruhm der Zähringer zu mehren, und musste nun feststellen, dass ihm inzwischen an deren Ruhm recht wenig lag.
Der Landfriede, den der Kaiser mit fester Hand durchgesetzt hatte, zeigte inzwischen erkennbare Wirkung. Es waren gute Zeiten für einen Mann, seine eigene Scholle zu bestellen und sein Leben in Ordnung zu bringen. Eine Familie zu gründen. Die Vorstellung gewann an Reiz.
Ein Reiher stieg aus dem Uferdickicht, erschreckte sein Pferd und brachte Aliza aus dem Gleichgewicht. Ängstlich drängte sie sich an ihn. Rupert rang einen Moment mit sich, doch dann ließ er das Gefühl zu, das er bisher noch jedes Mal gezügelt hatte.
Die Heftigkeit der Empfindung überraschte ihn. Was er empfand, reichte über das Begehren hinaus.
Ein Ritter, der eine Ägypterin zur Burgherrin machen will – bin ich das?
Was Kuno von Vohburg daraus machen würde, ließ Rupert die Haare zu Berge stehen. Welche Dummheit! Er würde sich zum Gespött aller machen.
Verwirrt bemerkte er erst jetzt, dass es zu nieseln begonnen hatte. Er schnalzte mit der Zunge und hieb die Fersen in die Flanken seines Pferdes.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte er, ohne dass Aliza eine Frage gestellt hätte. »Vielleicht erreichen wir Donaustauf, ehe uns das Mistwetter bis auf die Haut durchnässt.«
Aufgewühlt rauschte die Donau zu ihrer Rechten, als er geraume Zeit später sein Ross zügelte.
»Hoooo!«
Rupert hob die Hand, um seine Begleiter ebenfalls zum Halt zu veranlassen. Er war zwar nicht auf Kreuzfahrt gewesen, aber er hatte sich in genügend Kämpfen bewährt, um auf die Warnung seiner inneren Stimme zu hören. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Vorsichtiger als zuvor nahmen sie nun die Landstraße, die von zertrampelten Flusswiesen gesäumt wurde, ehe sie sich unweit vor ihnen in weitem Bogen zu Dorf und Burg hinaufzog. Der Regen strömte inzwischen. Die Hufe der Pferde verursachten schmatzende Geräusche im Straßenschlamm. In nächster Nähe stob aus den Uferauen laut kreischend eine schwarze Wolke auf. Krähen.
Ehe Rupert begriffen hatte, was dies bedeutete, befreite sich Aliza aus seinen Armen. Alle Angst vor der Höhe vergessend, ließ sie sich vom Pferd gleiten, stürzte, rappelte sich wieder auf und rannte wie von Sinnen quer über die Wiese. Bizarre schwarze Umrisse ragten dort wie mahnende Finger in den Himmel.
Aliza
Donaustauf, 18. September 1156
Z u spät. Gleich dem Schlag einer Glocke hallten die Worte durch Alizas Kopf. Zu spät. Zu spät.
Betäubt taumelte sie zwischen den Resten ausgebrannter Wagen hindurch, stolperte über einen toten Hund und blickte voller Entsetzen um sich. Das Blut erstarrte ihr in den Adern. Verkohlte Körbe, umgestürzte Kochtöpfe, zerschlagenes Tongeschirr, verstreutes Werkzeug. Kinderspielzeug zwischen Kleidungsstücken in den Schlamm getreten. Ein Tamburin mit zerfetzter Schlagfläche.
Wo waren die Menschen? Wo die Kinder?
Ihr Blick richtete sich an den Rand des Lagers, wo sie einen dunklen Hügel zwischen den kahl gewordenen Weiden entdeckte. Ihr Herz drohte stillzustehen. Sie wusste es sofort. Die Gesuchten. Erschlagen, erstochen, massakriert. Einer wie der andere. Kinder, Erwachsene, Greise – gnadenlos ermordet. Stumm klagten die Toten an.
Rupert fand Aliza, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, würgend, weinend und nach Luft ringend, neben den Toten.
»Mein Gott, steh uns bei.«
Aliza richtete sich auf, schrie.
»Habt Ihr mich deswegen hierhergeschleift? Damit ich sehe, Ihr meint es ernst? Ihr seid keine Menschen, ihr seid Schlächter. Ich hätte es wissen müssen. Nur ein Narr kann Euch trauen!«
»Nein, nein, nein! Das hier ist nicht auf meinen oder auf Bertholds Befehl geschehen. Ich schwöre es und verspreche dir: Wer immer das war, er wird dafür zur Rechenschaft gezogen.«
Jenseits jeden Begreifens hörte sie die Worte, ohne sie aufzunehmen. Am ganzen Leib zitternd, sank sie vor den Toten auf die nasse Erde. Ihr Blick verschwamm. In ihrem Innersten war sie felsenfest davon überzeugt, dass sie die Schuld an diesem Massaker
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