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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Wand, und ein Landschaftsbild fiel krachend herab.
    „Wer?“, schrie Katharina. „Eugen?“
    „Wo ist er? Hier?“
    Sie warf sich mit dem Rücken gegen die Wand, ehe er sie zur Seite wischen konnte. Als er an ihr vorüberstampfte, war er wie ein Fremder. Gott, wenn er doch wenigstens nach Alkohol gestunken hätte wie andere Männer, wenn sie die Kontrolle über sich verloren! Lorenz trank nie mehr als einen Schluck. Das war er , der hier tobte! Er , Lorenz von Adlerbrunn. Der waidwunde Hirsch. Der Keiler mit der Kugel im Herzen.
    Eugen stand im Zimmer, vor dem Bild. „Baron“, krächzte er. „Was …“
    „Aus dem Weg, oder ich schlage dich tot, Maler!“
    Das Blut wich aus Eugens Gesicht, und er machte einen Schritt zur Seite. Wohl nicht schnell genug, denn Lorenz half nach, indem er ihm einen Stoß gegen die Schulter verpasste. Er trat auf die Palette, die der Maler vor Schreck fallengelassen hatte. Das noch feuchte Bild betrachtete er nur ein, zwei Sekunden lang, dann riss er es von der Staffelei, schlug seinen Ellbogen hindurch und zerfetzte es. Die nassen Ölfarben klebten an seinen Fingern.
    „Raus hier!“, donnerte er. „Wenn ich dich noch einmal auf meinem Anwesen sehe, vergesse ich mich.“
    Eugen hatte Mühe, der Aufforderung nachzukommen, denn der stattliche Körper des Barons versperrte die Türöffnung fast vollständig. Er hatte das Gefühl, sterben zu müssen, als er bei der Flucht die Brust des Mannes streifte. Doch Lorenz stand nur da, wie eine Statue, die unter Spannung stand.
    Katharina sah, wie Eugen auf der Treppe eine Stufe verpasste, stürzte, eine Rolle vorwärts machte und dabei wie durch ein Wunder wieder auf die Beine kam. Unten in der Halle standen Wolfgang und Roland in sicherer Entfernung und beobachteten die Flucht ebenfalls aufmerksam.
    „Was habt ihr ihm gesagt?“, brüllte Katharina mit gequälter, überschnappender Stimme. „Was habt ihr ihm gesagt?“
    „Die Wahrheit“, antwortete Wolfgang. Und Roland fügte leise hinzu, so dass nur sie es hören konnte: „Die Wahrheit, wie sie die Zukunft gebracht hätte. Noch ein paar Tage, ein paar Nächte mehr, und …“
    Lorenz kam durch den Korridor gewankt.
    Katharina wusste nicht, was sie fühlen sollte. Hass auf ihre beiden Stiefsöhne, Mitleid mit Eugen, Angst vor Lorenz, Mitleid mit Lorenz, Mitleid mit sich selbst, Trauer um das Bild, um das Vertrauen zwischen ihrem Mann und dem Maler, zwischen …
    „Knie nieder, Weib“, knurrte Lorenz. Seine Lippen zitterten. „Knie nieder und bitte mich um Vergebung.“
    Katharinas Kehle brannte vor Schmerz, vor ihr tanzten schwarze Punkte in der Luft. Sie hielt sich fest, am Geländer, an der Wand. „Nein“, hauchte sie.
    „Knie nieder!“
    „Nein“, sagte Katharina, lauter jetzt. „Ich bleibe … stehen. Ich habe nichts getan.“
    Lorenz’ Gesicht wurde größer, riesengroß. Seine Augen – weitaufgerissen, seine Mundwinkel von unkontrollierbarem Hass nach unten gezogen. Tränen auf seinen Wangen, Tränen, die in Strömen aus seinen Augen rannen.
    „Ich habe nichts getan“, brachte sie noch einmal hervor.
    Dann zog die Welt sich von ihr zurück. Sie stürzte ins Nichts, und das letzte, was sie mitbekam, war: Im Nichts gab es Arme, starke Arme, die sie auffingen.

5
    Die folgenden Wochen waren von solcher Spannung erfüllt, dass es Katharina schien, als ziehe eine unsichtbare Macht unablässig an ihnen. Zum ersten Mal in ihrem Leben glaubte sie die Anwesenheit von Engeln und Teufeln zu spüren, unsichtbare Wesen, lästig und unerwünscht, die sie zu Handlungen und Worten zu verführen suchten, die sie nicht wollte.
    Nach drei, vier Tagen bitteren Sich-Aus-dem-Weg-Gehens fanden sie wieder im Alltag zueinander. Sie speisten wieder gemeinsam, führten Gespräche, und Katharina leistete ihrem Gatten beim Bad Gesellschaft, wie sie es zuvor getan hatte. Natürlich waren es ausgehöhlte, leere Gesten, eine Art Schauspiel, das sie aufführten. Keines ihrer Worte war frei von dem Bewusstsein dessen, was sich ereignet hatte.
    Und doch halfen ihnen die Rituale des Alltags, wieder zu einem Leben zurückzufinden, das nicht aus Flucht, sondern aus Begegnung bestand. Auch wenn es die Anspannung und Unsicherheit war, die sie vereinte – immerhin gab es etwas, was sie miteinander teilten. Katharina spürte Lorenz’ Schmerz beinahe stärker als ihren eigenen, und manchmal – wenn er sie aus den Augenwinkeln beobachtete und glaubte, dass sie es nicht merkte – hatte sie den Eindruck,

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