Der Blutkelch
Donnchad dafür interessiert haben?«, überlegte Eadulf laut.
Auch Fidelma sah etwas ungläubig drein. Sie war überzeugt, Donnchads Besuch in Fear Maighe hatte dem Celsus-Text gegolten und hatte sich eine leichtere Erklärung erhofft.
»Und Donnchad hat wirklich nicht nach einer Schrift von Celsus gefragt, und zwar nach der, von der ihr eine Abschrift angefertigt habt und die dann gestohlen wurde?«
Cunán antwortete ihr nicht sogleich, blickte eher etwas schuldbewusst vor sich hin.
»Du ringst mit dir. Warum?«, drängte ihn Fidelma. »Habe ich mit meiner Annahme recht?«
»Dubhagan hat mich ausdrücklich gebeten, darüber Stillschweigen zu bewahren. Aber da sie nun beide, Bruder Donnchad und Dubhagan, tot sind, muss ich mich vielleicht nicht länger daran halten.«
»Was hat Dubhagan dazu bewogen, dich zum Schweigen zu verpflichten?«
»Er kam in die Hauptbibliothek, als Bruder Donnchad schon bei ihm im Gemach oben saß, und wollte sich denBand kurz ausleihen. Ich war gerade bei den letzten Federstrichen der Abschrift für Ard Mór. Er wollte den Celsus Bruder Donnchad zeigen und bat mich, darüber kein Wort zu verlieren. Bruder Donnchad lag daran, dass niemand erfuhr, dass er sie sich näher angeschaut hatte.«
»Das kann ich nachvollziehen«, meinte Fidelma.
»Wir freuen uns über Bücher aller Art und erweitern mit ihnen gern unseren Bibliotheksbestand. Viele Brüder haben von ihren Reisen nach Rom oder anderen Orten Bücher mitgebracht, selbst solche kritischen Schriften zu den Christen wie die von Kaiser Julianus Apostata oder von Porphyrios von Tyros – wir hatten zum Beispiel eine Abschrift von seinem
Adversus Christianos – Gegen die Christenheit
–, und natürlich gehörte auch das Werk von Celsus
Alethès Lógos – Die wahre Lehre
dazu. Man hat uns Bücher in unterschiedlichsten Sprachen gebracht.«
»Wie viele von ihnen mögen dem Feuer zum Opfer gefallen sein?«, fragte Eadulf. »Vermutlich lässt sich das jetzt noch nicht sagen.«
»Von den kritischen Schriften zum Glauben?« Cunán zuckte mit den Achseln. »Ich fürchte, die meisten von ihnen. Sie befanden sich alle oben in Dubhagans Turmgemach. Ein seltenes Stück unter anderen war
Contra Galilaeos – Gegen die Galiläer
von Julianus, aber die Erwiderung von Clemens von Alexandria hat vielleicht überlebt.«
»Mir geht es in erster Linie um Celsus. Weißt du, was im Einzelnen er am Glauben auszusetzen hatte?«
Der Bibliothekar antwortete nicht sogleich, schaute dann aber fast verschwörerisch in die kleine Runde.
»Um ehrlich zu sein, ja. Ich fand seine Argumente aufschlussreich; sie erinnern an die Vorstellungen, die von unseren Vorvätern überliefert sind, untermauern sie sogar.«
»Ich habe weder Celsus noch Origenes gelesen«, gab Fidelma zu. »Kannst du mir ein wenig nachhelfen und erzählen, welche Argumente Celsus gegen den Neuen Glauben vorbringt?«
»Seine Aufzeichnungen entstanden vor mehreren Jahrhunderten, das darf man nicht vergessen. Er hielt den Gedanken der Menschwerdung Gottes für absurd. Mit welchem Recht fühlten sich die Menschen den Bienen, Ameisen, Elefanten überlegen, fragte er. Ich habe schon mal von solchen Tieren gehört«, merkte Cunán nebenbei an. »Der römische Kaiser Claudius soll sie nach Britannien gebracht haben, um mit ihrer Hilfe die Britannier zu besiegen.« Dann kam er wieder auf sein eigentliches Thema zurück. »Mit welchem Recht maßten sich Christen eine einzigartige Stellung zu ihrem Schöpfer an, fragte Celsus weiter, und machten ihn zu einem der Ihren? Und warum sollte Gott als Angehöriger eines bestimmten Volkes und eines bestimmten Glaubens zu den Menschen kommen? Celsus hielt den Gedanken der besonderen Auserwähltheit der Juden für Unfug. In seinen Augen war alles Leben auf der Welt etwas Besonderes. Er verglich die frühen Christen mit einer Ratsversammlung von Fröschen und Gewürm auf einem Misthaufen, auf dem es durcheinanderquakte und -quiekte: ›Wir sind die Herrscher der Welt, nur unseretwegen wurde sie erschaffen.‹ Celsus fand das alles absurd.«
»Hat er auch gesagt, woran er glaubte?«, fragte Fidelma.
»Er schrieb, es wäre vernünftiger, zu akzeptieren, dass jede Nation, jeder Teil der Welt seine eigenen Götter, seine eigenen Propheten und Apostel hat. Er warf den Christen vor, unduldsam zu sein, kein Verständnis für andere Religionen aufzubringen. Warum könnten Christen nicht im Einvernehmen mit den großen philosophischen und politischen Mächtender
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