Der Blutkelch
rötliche Sengflecken.
»Geht es wieder?«, fragte sein Vater besorgt.
»Ich denke, ja. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich vorhin nicht ganz bei mir war. Aber den armen Dubhagan ermordet zu finden und dann die Vernichtung all der unwiederbringlichen Werke mit ansehen zu müssen … Es ist, als wenn dir das Liebste genommen wird.«
Er setzte sich zu ihnen. Ein Bediensteter erschien mit einem Krug Met und goss ihm einen Becher voll ein. Er nippte langsam und bedächtig.
»Wir sprachen gerade darüber, dass sich in dem Bibliotheksbestand Werke befanden, die nicht unbedingt den Glauben stärkten«, erläuterte Fidelma.
»Unsere Bibliothek war bestrebt, Bücher vor der Vernichtung zu bewahren und sie der Nachwelt zu erhalten«, erwiderte Cunán wehmütig. »Viele von ihnen sind jetzt für immerverloren. Das Ausmaß der Verluste sehen wir erst, wenn unsere Schreiber alles durchgegangen sind. Es wird Tage dauern.«
»In eurer Bibliothek wurden Abschriften von zwei Werken angefertigt und nach Ard Mór geschickt«, lenkte Fidelma das Gespräch auf ihr eigentliches Anliegen.
»Ja, Ard Mór hatte sie in Auftrag gegeben. Es sind hervorragende Abschriften geworden. Sie wurden gestohlen.«
»Von deinem Vater haben wir erfahren, dass es sich um die Gedichte von Dallán Forgaill und ein Werk von Celsus handelte.«
»Das ist richtig.«
»Mir geht es in erster Linie um die Arbeit von Celsus.«
Cunáns Augen verrieten Erstaunen, er sagte aber nichts.
»Warst du zugegen, als Bruder Donnchad von Lios Mór hierher und in eure Bibliothek kam?«
Cunán nickte.
»Kannst du dich erinnern, welchen Schriften sein Interesse galt?«
»Er verbrachte die Zeit mit Dubhagan in dessen Studierstube. Worüber sie sich unterhalten haben und in welchen Werken er las, kann ich nicht sagen.«
»Er suchte Dubhagan auf, blieb bei ihm und beschäftigte sich mit den Büchern dort … Sagtest du nicht, dass bei Dubhagan besonders wertvolle Titel aufbewahrt wurden?«
»Ja, und das war auch so.« Er kämpfte mit sich, fuhr dann aber fort: »Ich musste Dubhagan sprechen, während Bruder Donnchad bei ihm saß und las. Ich brauchte Dubhagans Rat und fand seinen Gast bei ihm, der sich in Handschriften vertieft hatte.«
»Welches Werk ihn so faszinierte, entzieht sich offensichtlich deiner Kenntnis. Das von Celsus war es wohl nicht?«
Cunán schüttelte den Kopf. »Celsus? Das glaube ich nicht. Als ich den Raum betrat, hatte er gerade eine Schrift aus der hebräischen Sammlung vor sich.«
»Hebräisch?« Fidelma war enttäuscht.
»Ja. Wir verfügen über etliche Abschriften von Werken in Hebräisch.«
»Um was für Werke handelt es sich dabei?«
»Unser kostbarster Besitz ist …« Er verbesserte sich nicht ohne Bitterkeit: »… war eine Pergamentrolle der
Sefer Thora
– aller fünf Bücher –
Bereshit, Shemot, Vayikra, Bemidbar und Devarim
.« Er bemerkte Fidelmas ratlosen Gesichtsausdruck und ergänzte: »Im Neuen Glauben heißen sie die fünf Bücher Mose.«
»Und die sind jetzt alle vernichtet?«, fragte Eadulf entsetzt.
»Ich fürchte, ja. Sie waren sämtlich in dem Turmgemach, und da wütete das Feuer am verheerendsten.«
»Und just denen galt Bruder Donnchads Interesse?«
»Ich denke nicht, dass es ihm um die
Sefer Thora
ging.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich glaube gesehen zu haben, dass alle Bücher in ihren Taschen waren, alle genau dort, wo sie hingehörten, bis auf eines. Und Bruder Donnchad saß bei der Abteilung mit den hebräischen Titeln. Er war in eine hebräische Schrift vertieft, das kann ich mit Gewissheit sagen, denn in der kleinen hebräischen Abteilung fehlte eine, ich erinnere mich genau an die Lücke.« Er zuckte mit den Schultern. »Als Bibliothekar nimmt man solche Dinge unbewusst wahr.«
»Und kannst du dich auch erinnern, was in der Lücke hätte stehen müssen und womit sich Bruder Donnchad folglich beschäftigte?«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Dann lass uns deine Vermutung wissen«, redete ihm Fidelma zu. »Welches Buch, glaubst du, könnte es gewesen sein?«
»In der Lücke könnte
Tosefta
gestanden haben.«
Die Auskunft half Fidelma nicht weiter.
»Kannst du uns zu der Schrift etwas mehr sagen?«, fragte Eadulf geduldig.
»Sie enthält die mündlich überlieferte jüdische Rechtsprechung, wie sie vor drei oder vier Jahrhunderten zusammengestellt wurde. Sie wurde angeblich in Judäa in einer Akademie der Rabbiner angefertigt.«
»Jüdische Rechtsprechung? Wieso sollte sich Bruder
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