Der Blutkelch
Bibliothek in Schutt und Asche, töten unseren Bibliothekar? Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«
»Bisher habe ich auch noch keinen Anhaltspunkt«, gab Fidelma zu. »Aber wir werden ihn finden.«
»Vielleicht ist die Erklärung darin zu suchen, dass die Bibliothek über Handschriften verfügte, die viele Verfechter des Neuen Glaubens nicht gutheißen«, gab Eadulf vorsichtig zu bedenken.
»Du hältst eine Vernichtung von Büchern für möglich, weil sie für den Neuen Glauben unangenehme Fragestellungen enthielten?« In Cumsrads Tonfall lag ein gewisser Zynismus.
»Man hat Bücher schon aus geringeren Gründen vernichtet.«
»Zu vernichten, was einem nicht passt, scheint mir sehr dumm. Es ist doch viel gescheiter, die gegenseitigen Auffassungen darzulegen und dann zu sehen, wer die besseren Argumente hat.«
Gormán machte durch ein Hüsteln auf sich aufmerksam. Er hatte die ganze Zeit geschwiegen, fast hatten sie seine Anwesenheit vergessen.
»Warum sind die Uí Liatháin derart fanatisch, wenn es um den Neuen Glauben geht? Ich kenne sie. Mit ihrer Art der Frömmigkeit haben sie sich nicht gerade beliebt gemacht.«
»Dein Krieger hat recht, Lady«, stimmte Cumscrad ihm zu. »Aber darüber hinaus sind sie meinen Leuten feindlich gesinnt, und das mag auch eine Rolle spielen.«
»Wie hoch schätzt du den Wert eurer Bibliothek ein?«, fragte Eadulf. »Welche Bestände haben sie so einmalig gemacht, wie du behauptest?«
»Die Bibliothek hat es schon zu Mugh Ruiths Zeiten gegeben, das war lange, bevor der Neue Glauben zu uns kam. Sie war berühmt. Sie war einmalig.«
»Berühmt?« Eadulf hatte seine Zweifel. »Ich habe von vielen berühmten Bibliotheken gehört, nie aber von der in Fear Maighe.«
»Das beweist eher deine Unwissenheit«, erwiderte der Stammesfürst, »die Bibliothek ist trotzdem berühmt.«
»Damit magst du recht haben, Cumscrad«, meinte Fidelma, die seine scharfe Erwiderung fast ein wenig amüsierte, auch wenn sie sah, wie gekränkt Eadulf reagierte. »Aber vielleicht übst du Nachsicht mit unserer Unwissenheit und erzählst uns ein wenig über die Geschichte der Handschriftensammlung.« Ihr lag daran, keine Spannung aufkommen zu lassen.
Er ließ sich überreden. »Vor ungefähr vierhundert Jahren schrieb ein Gelehrter aus dem Osten, ein gewisser Aethicus von Istrien, eine sogenannte
Cosmographia
, eine Weltbeschreibung. Er segelte von der Pyrenäenhalbinsel zu unseren Ufern, weil der gute Ruf unserer Bibliotheken bis zu ihm gedrungen war. Er nennt die
volumina
unserer Bibliotheken ›bemerkenswert‹.«
»Und das schon vor vierhundert Jahren?«, unterbrach ihn Eadulf erstaunt. »Das würde ja bedeuten, dass …«
»… sich der Ruf unserer Bibliotheken schon zweihundert Jahre, ehe der Neue Glaube auf unsere Insel kam, herumgesprochen hatte«, vollendete Cumscrad den Satz. »Außer dem bezeichnet Aethicus unsere Bücher mit dem seltsamen Wort
ideomochos
, womit er ausdrückt, dass er Schriftwerke in dieser Form und mit diesem Inhalt nirgendwo anders, sondern nur bei unserem Volk gefunden hat.«
»Dass hier einige Handschriften aus Vorzeiten existierten,war uns bekannt«, sagte Fidelma. »Man schrieb sie auf sogenannten
flesc filidh
, auf einer Art Brettchen oder Stäben aus Buche und Birke. Du meinst also, Aethicus kam tatsächlich hierher und nahm diese alten Aufzeichnungen in Augenschein?«
»Ja. Aber seit wir den Neuen Glauben haben, versucht man systematisch, alles zu vernichten, was es davor gab.« Cumscrad deutete in die Richtung der schwelenden Ruinen des Bibliotheksgebäudes. »Die Zerstörung nimmt ihren Lauf. Wir erleben Verbrechen gegen menschliches Wissen. Aethicus pries unsere Bibliotheken. Uns ist überliefert, dass er gerade hierherkam, um die Schriften aus Urväterzeiten zu studieren. Seine Erkenntnisse hielt er in seiner
Cosmographia
fest, und so wurde das Wissen um die Handschriften verbreitet.«
»Wie habt ihr davon erfahren?«, fragte Eadulf. »Ich höre von diesem Aethicus und seiner Weltbeschreibung zum ersten Mal.«
»Hast du nicht die
Historiae adversus paganos
, das
Geschichtswerk gegen die Heiden
von Paulus Orosius gelesen? Selbst der zitiert Abschnitte von Aethicus über seine Reise in unser Land. Orosius war natürlich Christ und wollte die Heiden verunglimpfen. Er ging sogar so weit, uns als Kannibalen darzustellen.«
Fidelma spürte Cumscrads Verärgerung. »Du musst schon entschuldigen, aber Anwälte haben es nun einmal an sich, Dinge zu
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