Der Blutkelch
Ohr, und zwar von vielen Reitern. Sie lächelte zufrieden. »Es ist so weit, die Fäden laufen zusammen und fügen sich zu einem Ganzen.«
Gormán eilte aus den Ställen herbei, und Bruder Echen kam aufgeregt angerannt, um die Tore zu öffnen. Der erste Reiter, ein Krieger, der das Feldzeichen mit dem sprungbereiten Hirsch der Eóghanacht trug, ritt auf den Hof. Hinter dem Bannerträger erkannten sie Caol, den Hauptmann der Nasc Niadh, der Leibgarde des Königs von Muman. Ihm folgten Colgú, Fidelmas Bruder, zusammen mit Ségdae, Abt von Imleach und Oberster Bischof von Muman. Sein Verwalter, Bruder Madagan, ritt hinter ihm und mit ihm ein älterer Mann, während zwei weitere Krieger aus der Leibgarde den Abschluss bildeten.
Bruder Echen rang die Hände, wie sollte er mit so vielen hochrangigen Gästen zurechtkommen! Fidelma und Eadulf liefen hinüber, um sie zu begrüßen. Caol stieg ab und nickte Fidelma zu, winkte dann Bruder Echen heran und bedeutete ihm, was mit den Pferden zu geschehen habe. Colgú glitt von seinem Ross und strahlte seine Schwester an, auch für Eadulf hatte er ein freundliches Nicken.
»Hast du meine Anweisungen ausgeführt?«, waren die ersten Worte, die Fidelma an ihren Bruder richtete.
Er musste ob ihrer zielbewussten Begrüßung lachen.
»Eine ganz schön harsche Art, seinen Bruder willkommenzu heißen«, schalt er. Doch sogleich bestätigte er mit ernster Miene: »Es ist alles so eingefädelt, wie du es verlangt hast, Schwester. Der Hauptteil der Krieger wurde angewiesen, vergangene Nacht in den Bergen bei Bruder Corbach am Cill Domnoc zu bleiben. Entsprechend deinem Vorschlag sind wir indes durch die Berge zu den nördlich des Flusses gelegenen Wäldern weitergezogen, um dort unsere Zelte für die Nacht aufzuschlagen. Bei Tagesanbruch haben wir den Fluss überquert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass uns jemand gesehen hat.«
»Wer befehligt den Haupttrupp?«
»Dego und Enda«, erwiderte er und nannte damit zwei führende Mitglieder der Nasc Niadh. »Sie erhielten genau die Befehle, die du verlangtest.«
Fidelma atmete erleichtert auf.
»Ich habe schon viel Böses erlebt, Bruder, aber was mir hier begegnet ist, übertrifft alles. Ich bin froh, dass du hier bist.«
Erst jetzt war sie imstande, ihn zu umarmen. Nacheinander begrüßten sie und Eadulf auch Abt Ségdae und Bruder Madagan, und dann stellte ihnen Colgú den älteren Fremden vor.
»Das ist Brehon Aillín, er wird die Verhandlung in diesem Fall leiten.«
Fidelma hatte schon von ihm gehört. Er war der Oberste Richter der Eóghanacht Glendammnach und hatte den Ruf, gründlich und fair zu sein.
»Weißt du, wer Bruder Donnchad getötet hat?«, fragte er gleich zur Begrüßung.
»Ich hatte lange einen Verdacht«, antwortete sie ruhig. »Die Frage, die offenblieb, war das Tatmotiv. Aber ohne ein Motiv machte dieses ungeheuerliche Verbrechen keinenSinn. Als es sich mir dann erschloss, habe ich sofort Cashel von der Sachlage in Kenntnis gesetzt.«
»Und wer ist der Mörder?«
» Tempus omnia revelat
«, sagte sie mit einem Anflug von Lächeln. »Alles zu seiner Zeit. Ich habe Boten ausgesandt, um noch etliche Leute zur Verhandlung zu laden: Cumscrad von den Fir Maige Féne, Uallachán von den Uí Liatháin, die sich jeweils eine Meile westlich beziehungsweise südlich von hier bereit halten, und natürlich auch Lady Eithne in An Dún östlich von hier. Ich habe ihnen mitteilen lassen, dass das Gericht zur Mittagszeit im
refectorium
der Abtei zusammentreten wird.«
»Reichen unsere Wachposten aus, falls es Ärger gibt?«, fragte Colgú.
»Solange Dego und Enda sich an die vereinbarte Zeit halten, geht alles in Ordnung.«
»Das werden sie tun«, versicherte ihr Bruder.
»Ausgezeichnet.« Sie warf einen Blick über den Innenhof. »Ah, die Morgenandacht ist vorüber, und da kommen auch schon Bruder Lugna, der Verwalter, und Abt Iarnla; der eine schaut verdrießlich, der andere bekümmert drein. Euer Erscheinen, besonders das von Abt Ségdae, dürfte sie in Unruhe versetzen.«
Colgú lachte amüsiert. »Dann sollten wir ihnen die Unruhe nehmen.«
Eadulf fiel auf, dass Fidelma sich jetzt viel leichtfüßiger bewegte, und tatsächlich, sie sang sogar ein paar Takte aus einem Lied vor sich hin.
Diesque mirabilium
Tonitruorum fortium
Dies quoque angustiae
Maeroris ac tristitiae.
Donner wird zerreißen den Tag,
Unerhörtes das Herz erfüllen mag.
Tiefer Kummer, Not und Pein
Werden des Tags Begleiter
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