Der Blutkelch
sein.
Das
refectorium
war so gedrängt voll, dass viele Brüder stehen mussten. An dem Tisch, an dem sonst der Abt und seine Ratgeber ihre Mahlzeiten einnahmen, saß jetzt Colgú mit Brehon Aillín zu seiner Rechten und Abt Ségdae zu seiner Linken. Hinter Abt Ségdae, der in seiner Rolle als Oberster Bischof des Königreiches anwesend war, saß sein Verwalter, Bruder Madagan. Caol, als Befehlshaber der Nasc Niadh, stand unmittelbar hinter Colgú, zusammen mit des Königs Bannerträger. Ihnen gegenüber, aber schon im Hauptteil der Halle, hatten Abt Iarnla und sein Verwalter Bruder Lugna Platz genommen. Zu seiner Linken hatte er Lady Eithne, die mit drei Leibwächtern eingetroffen war, die jetzt hinter ihr saßen. Die höheren Mitglieder der Abtei hatten sich hinter dem Abt zusammengedrängt. Die beiden sich befehdenden Stammesfürsten Cumscrad mit seinem Sohn und Uallachán mit Bruder Temnen von Ard Mór hatten sich mit jeweils zwei Leibwächtern zu beiden Seiten der Haupthalle gesetzt. Saor, seine Bauarbeiter und Gúasach, der junge Bursche, hatten sich Stehplätze gesucht. Im Übrigen war die Halle mit so vielen Mitgliedern der Gemeinschaft gefüllt, wie nur irgend hineingingen. Gormán und die zwei verbleibenden Krieger der Nasc Niadh hatten an der Tür Stellung bezogen.
Für Fidelma und Eadulf stand ein kleiner Tisch zur Verfügung, rechts von dem Podest, auf dem ihr Bruder und seine Ratgeber saßen. Eadulf war darauf eingestellt, Fidelma mit Notizen und Dokumenten beizuspringen, falls sie gebraucht wurden. Brehon Aillín vergewisserte sich mit einemBlick zu Fidelma, dass sie bereit war, stand auf, erhob seinen Amtsstab und pochte mit ihm dreimal auf den Boden.
»Wir sitzen hier vorrangig zu Gericht, um die ursächlichen Zusammenhänge und die Täterschaft für den Mord an Bruder Donnchad zu klären. Nur dürfen wir auch andere Vorgänge nicht außer Acht lassen. Ich verweise auf den Überfall auf das Gebiet der Fir Maige Féne und den Tod von Dubhagan von der Bibliothek in Fear Maighe. Wir werden weiterhin Ursache und Verantwortlichkeit für den Tod des Baumeisters Glassán beleuchten.«
Unter den Versammelten gab es unterdrücktes und erstauntes Geraune, denn die meisten wussten nur, dass Donnchads Tod Gegenstand einer Ermittlung gewesen war; Glassáns Tod hatte man für einen Unfall gehalten. Was die anderen Überfälle und den Tod von Dubhagan anging, so hatte sich kaum etwas davon in der Abtei herumgesprochen. Doch die Unruhe verebbte bald, nur Bruder Lugna sprang auf und ereiferte sich.
»Das sind doch gänzlich unterschiedliche Vorgänge! Wie kann man die hier alle in einen Topf werfen? Schwester Fidelma hat einzig und allein die Befugnis, uns zu sagen, wer Bruder Donnchad ermordet hat.«
Brehon Aillín sah ihn tadelnd an. »Wir befinden uns hier in einem Gericht, und ich habe die Fälle genannt, die es zu verhandeln gilt. Fidelma von Cashel, würdest du bitte das Verfahren eröffnen?«, forderte er sie ernst auf.
»Ich werde es tun«, erklärte sie mit einer leichten Verbeugung zum Brehon hin, wie es das Protokoll verlangte, um sich dann der Zuhörerschaft zuzuwenden.
»Wir beginnen mit dem Mord an Glassán, denn das ist ein Fall für sich.«
Sie wartete, bis sich das Gemurmel der Menge legte, undverkündete dann laut: »Ja, es war ein Mord, auch wenn man ihn als Unfall darzustellen versuchte. Glassán wurde hinterrücks mit einem Schwarzdornknüppel erschlagen, danach zerrte man den bereits Toten an die Mauer. Dann wurde alles so hergerichtet, dass man den Eindruck gewinnen musste, ein Stein hätte sich von der Mauer gelöst und wäre auf ihn gefallen. Der Mord war von langer Hand geplant.«
Sie hatte die volle Aufmerksamkeit der Versammelten.
»Wenn man immer wieder Morde untersuchen muss«, fuhr sie fort, »wird es einem zur Gewohnheit, nach den komplizierten und unerwarteten Dingen Ausschau zu halten. Bei dem Mord an Glassán hatten wir das Offensichtliche vor Augen, dachten aber, wir müssten der Sache tiefer auf den Grund gehen, nach dem weniger Offensichtlichen suchen, nach Anzeichen, die wir mit dem Mord an Bruder Donnchad in Verbindung zu bringen glaubten. Dabei hätten wir fast das übersehen, was vordergründig war und was man eigentlich gar nicht übersehen konnte.«
»Nämlich was?«, rief Bruder Lugna dazwischen, der sich nicht zurückzuhalten vermochte.
Brehon Aillín klopfte mahnend auf den Tisch. »Unter brechungen sind nicht gestattet. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir
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