Der Blutkelch
Lebensaufgabe.«
»Aber Angehöriger einer klösterlichen Gemeinschaft zusein verleiht einem Sicherheit und auch einen Rang in der Gesellschaft«, gab er zu bedenken. Der Einwurf geschah halbherzig, hatten sie doch das Thema schon viele Male diskutiert.
Ihre Augen blitzten auf. »Ich bin eine Prinzessin der Eóghanacht. Ich bin eine
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an den Gerichtshöfen der fünf Königreiche. Du weißt, dass ich eines solchen Status’ längst nicht mehr bedarf.«
Eadulf nickte bedächtig. »Und sehr bald wirst du das Amt des Obersten Brehon in deines Bruders Königreich beanspruchen.«
»Wer hat dir das gesagt?«, fragte Fidelma hitzig.
Eadulf lächelte kurz, aber ohne innere Bewegung. »Wenn ich von dir etwas gelernt habe, dann, wie man eine logische Schlussfolgerung zieht. Als ich hörte, dass Brehon Baithen krank ist und dass der Rat der Brehons demnächst zusammenkommt, um über den Nachfolger zu befinden, na ja …« Er hob nur vielsagend die linke Schulter. »Hat Abt Ségdae dir seinen Segen erteilt?«
Fidelma schüttelte den Kopf. »Nicht gleich. Er hat den Verdacht, mein Entschluss könnte etwas mit uns beiden zu tun haben.«
Eadulf zog die Augenbrauen zusammen. »Mit uns? Ich kann dir nicht folgen.«
»Weil wir uns vorübergehend getrennt haben, glaubt er …« Jetzt war sie es, die mit den Schultern zuckte.
»Er sucht nach Ursache und Wirkung. Das ist nur logisch.«
»Aber er trifft nicht ins Schwarze«, entgegnete Fidelma. »Wie auch immer, egal, ob ich sein Einverständnis habe oder nicht, und egal, ob ich das Amt als oberster Rechtsratgeber meines Bruders bekleiden werde oder nicht, ich sehe meine Berufung in der Rechtssprechung, und dabei bleibt es.«
»Es war töricht, zu glauben, ich könnte dich ändern«, gab Eadulf zu. »In den letzten Wochen ist mir aufgegangen, dass der Grund für die meisten Probleme in unserer Welt in dem Verlangen besteht, andere Menschen ändern zu wollen, sie zu bedrängen, sie möchten so denken wie man selbst, sich so verhalten wie man selbst.
Quid existis in desertum videre … hominem mollibus vestitum?
«
Sie brauchte einen Augenblick, ehe sie begriff, dass er sich auf das Evangelium des Matthäus bezog: »Was zu sehen, seid ihr hinausgegangen in die Wüste? Einen Menschen in weichen Kleidern?« Mit anderen Worten, man sollte seine Mitmenschen nicht mit den eigenen Maßstäben messen.
»Ich werde nicht mehr versuchen, dir irgendwelche Zwänge aufzuerlegen, Fidelma«, fuhr Eadulf fort. »Du musst das tun, was du für das Beste hältst. Und ich … ich muss mir überlegen, was ich zu tun habe, um meinen Weg im Leben zu gehen.«
Sie sah ihn überrascht an, und plötzlich tat er ihr leid. Er sah müde und entmutigt aus. Doch sogleich machte sie sich von ihrer Bedrücktheit frei. Sie war nicht gewillt, sich mit ihm auf eine Auseinandersetzung darüber einzulassen, was ihn bewegte … zumindest nicht jetzt.
»Dich hat die Botschaft meines Bruders erreicht? Hast du ihn schon gesehen?«
»Ja, ihn und auch Abt Ségdae.«
»Ich vermute, du bist gern auf ihren Vorschlag eingegangen, nach Cashel zurückzukehren?«
»Dein Bruder ist der König, und sein Ansinnen war mehr eine Aufforderung als ein Vorschlag. Ich habe Ségdae versichern können, sein Verdacht entbehre jeder Grundlage und dass du den Entschluss, nicht länger Nonne zu sein, schon vor langer Zeit gefasst hast.«
»Was hältst du von ihrem Gedanken, ich meine, von der Untersuchung der Geschehnisse in Lios Mór?«
»Zuerst dachte ich, dein Bruder schmiede einen Plan, uns zusammenzubringen, doch es scheint ihm in der Tat um den Mord an Bruder Donnchad in Lios Mór zu gehen. Bruder Donnchad war weithin bekannt, galt auch in der Gemeinschaft, in der ich war, einiges.«
»Möglicherweise hat mein Bruder doch einen Hintergedanken bei der Geschichte«, bemerkte Fidelma nicht ohne Ironie. »Aber du hast recht. Bruder Donnchad wurde ermordet, und der Abt hat darum gebeten, ihm bei der Klärung des Vorfalls behilflich zu sein.« Sie zögerte. »Bist du bereit, gemeinsam mit mir das Problem zu lösen?«
»Ich bin gekommen, weil dein Bruder mich hat rufen lassen. Ob ich mit dir zusammen arbeite oder nicht, ist einzig und allein deine Entscheidung. Ich habe ihm gesagt, ich würde mich nicht aufdrängen, wenn ich unerwünscht bin.«
Sie blickte in sein entschlossenes Gesicht und schmunzelte.
»Wir haben stets gut zusammengearbeitet, wenn es darauf ankam, Eadulf. Ich habe nichts gegen deine tatkräftige Mithilfe; im
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