Der Blutkelch
hat ihn das gelockt.«
»Was ist mit dem vorherigen Arzt der Abtei? Ihr hattet doch gewiss einen.«
»Einige Monate lang hatten wir keinen, nachdem der bedauernswerte Bruder Siadhail an Husten und Erstickungsanfällen gestorben ist. Er war schon ziemlich betagt. Da kam uns Bruder Seachlann wie gerufen.«
»Ist er ein guter Arzt? Ist er bei den Brüdern beliebt?«
»Mir sind keine Klagen zu Ohren gekommen. Ob er beliebt ist? Er ist ziemlich in sich gekehrt, Freundschaft hat er bisher wohl mit keinem geschlossen.«
»Das heißt, er steht keinem der Brüder wirklich nahe?«
»Vielleicht sollte sich ein guter Arzt auch so und nicht anders verhalten«, gab der
scriptor
zu bedenken. »Dann kann er jeden mit der gleichen Sorgfalt behandeln und bevorzugt keinen.«
Sie nickte ihm freundlich zu. »Wahrscheinlich ist das so.« Nach kurzem Überlegen fuhr sie fort: »Du wirst dich erinnern, dass wir neulich über Celsus sprachen und über die Erwiderung, die Origenes verfasste.«
Der Bibliothekar sah sie ernst an. »Interessant ist das Werk von Origenes schon.«
»Es muss in der Tat spannend sein«, sagte Fidelma. »Ich frage mich nur, warum Bruder Donnchad sich so sehr dafür interessierte.«
»Mehr, als ich dazu schon gesagt habe, weiß ich auch nicht. Er war ein angesehener Gelehrter. Immer wieder hat er betont, man müsse versuchen, die Ursprünge des Glaubens zu begreifen. Das war, bevor er sich auf die Pilgerreise begab. Als er zurückkam, hat er kaum noch mit jemandem geredet.«
»Ich wüsste nur allzu gern, was er in dem Werk gesucht hat«, bekannte sie seufzend.
»Da kann ich dir leider nicht helfen.«
»Das verstehe ich schon. Nur hatte ich gehofft, du weißt mehr über das Werk oder kennst jemanden, der es gelesen hat.« Sie stand auf, versicherte ihm, dass ihr die Unterredung nützlich gewesen sei und dankte ihm.
Auch Bruder Donnán erhob sich, er schien mit sich unzufrieden. Unversehens öffnete sich die Tür, und ein unbekannter Krieger stand im Türrahmen. Er zögerte, warf einen Blick auf Fidelma und wandte sich an den Bibliothekar.
»Tut mir leid, dich zu stören, Bruder Donnán, aber Lady Eithne schickt mich, die bestellten Bücher zu holen.«
Der Angesprochene wurde rot; Fidelmas Gegenwart war ihm sichtlich peinlich. Rasch ging er zu einem Wandschrank, nahm zwei Ledertaschen, in denen üblicherweise kostbare Handschriften befördert wurden, und reichte sie wortlos dem Boten. Der machte kehrt und verschwand sofort.
»Ich denke, Bruder Lugna hat verfügt, es dürften keine Bücher aus der Bibliothek herausgebracht werden«, merkte Fidelma an, kaum dass sich die Tür geschlossen hatte.
»Bei Lady Eithne wird eine Ausnahme gemacht«, klärtesie Bruder Donnán auf.«Schließlich ist sie die Schutzherrin der Abtei.«
»Was für Bücher sind das, die sie sich bestellt hat?«
»Sie ist dem Glauben sehr zugetan und unterstützt uns außerordentlich«, lautete die ausweichende Antwort.
»Das will ich nicht bezweifeln.«
»Sie hat die Briefe des heiligen Paulus von Tarsus gelesen.«
»Tatsächlich? Im griechischen Original?«
»In einer lateinischen Übersetzung.«
»Ah, natürlich. Sie hatte ja gesagt, sie sei des Griechischen nicht mächtig. Allerdings hatte ich den Eindruck, auch Latein könne sie nur wenig. Sei es, wie es sei.«
Fidelma verabschiedete sich. Die Sonne stand bereits hoch am wolkenlosen Himmel, und es wurde warm, schwülwarm sogar. Ihr trat der Schweiß auf die Stirn, und da sie ihr übliches wollenes Gewand trug, fühlte sie sich recht unbehaglich. So beschloss sie, ins Gästehaus zurückzukehren und sich vor dem Mittagsmahl etwas frisch zu machen, sich die Hände zu waschen und das Gesicht zu benetzen. In der Eingangshalle stieß sie auf Bruder Máel Eoin, der dort gerade saubermachte.
»Wie geht es Bruder Eadulf?«, fragte er und hielt beim Fegen inne.
Nicht zum ersten Mal antwortete sie heute auf diese Frage.
»Ich habe einen von Lady Eithnes Leuten aus dem
scriptorium
kommen sehen«, redete er weiter. »Die Herrin muss in Bücher geradezu vernarrt sein.«
Fidelma hatte eigentlich weitergehen wollen, blieb nun aber stehen. »Was bringt dich zu dieser Meinung?«
»Sie schickt doch häufig ihre Leute nach Büchern, hat sogar den Verwalter oder den Bibliothekar schon beauftragt, ihr welche in die Burg zu bringen.«
»Tatsächlich?«
»Bruder Lugna und Bruder Donnán gehen auf ihren Wunsch hin immer wieder zu ihr in die Burg. Bruder Lugna scheint ihr ein enger Berater zu
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