Der Blutkristall
Puce», was so viel wie «mein kleiner Floh» hieß, zu verwenden. Etwas, das sich aus dem Mund ihres Bruders herablassend angehört hätte, ließ sie sich von ihm gerne gefallen.
Das typisch französische Schulterzucken beherrschte Cyron auch in ungewohntem Gewand meisterhaft. «Eine gewisse junge Dame hat meine Warnungen in den Wind geschlagen. Was blieb mir anderes übrig, als nachzusehen, ob der Verrückte da», er zeigte auf Morgan, «dich auch angemessen behandelt. Schön übrigens, dass du wenigstens meinem Rat gefolgt bist und Paris endlich verlassen hast. Haben wir diese Einsicht etwa der reizenden Hortense zu verdanken?»
«Hör mir mit der auf! Nein, leider gibt es einen weit wichtigeren Grund für meine Abreise ...»
«Ihr kennt euch näher?» Morgan warf ihr einen strengen Blick zu. «Eigentlich sollte mich das nicht weiter überraschen. Der Cocktail-König von Paris und die Dame von Welt. Mich wundert nur, dass Fräulein Vornehm überhaupt mit dir spricht.»
Cyron störte sich nicht an dem feindseligen Ton. «Du kennst sie eben nicht.» Dann wurde sein Gesicht ernst und er nahm Morgan beiseite. «Warum ziehst du sie da mir rein? Dir muss doch klar sein, dass wir es hier nicht mit einem ganz normalen Einbruch zu tun haben? Und dazu kommt noch: Wer auch immer der Typ ist, auf den du mich da angesetzt hast, irgendetwas schützt ihn.»
Morgan sah fragend zu Vivianne, die der leisen Unterhaltung zwar gelauscht hatte, aber jetzt so tat, als interessiere sie sich brennend für die durchaus innovativen Darstellungen körperlicher Vereinigung an den weißen Wänden.
Nicht hier! Laut sagte Morgan: «Und wo ist unser Freund jetzt?»
«Gar nicht weit. Er hat sich in einer leer stehenden Wohnung eingerichtet.» Cyron zwinkerte ihm zu. «Und ich dachte, die Zeiten der Hausbesetzungen seien vorbei.»
Vivianne gab ihr vorgetäuschtes Desinteresse auf. «Worauf warten wir noch?» Diese Geplänkel zwischen den beiden machten sie nervös. Sie eilte zur Tür.
«Du gehst nirgendwo hin!» Morgan griff ihren Arm.
«Au! Spinnst du?» Ihre Augen wurden schmal und die langen Zähne erschwerten das Sprechen dummerweise.
Er ließ sie wieder los und hob beschwichtigend die Hände. Wir sind nicht allein.
«Er hat recht.» Cyron berührte ihre Schulter, und sofort spürte sie, wie ihre Anspannung nachließ. «Es könnte eine Falle sein. Überlass das Morgan, schließlich wird er dafür mit einer ansehnlichen Summe von deiner Versicherung bezahlt.» Er sah von einem zum anderen. «Wie habt ihr zwei euch eigentlich so schnell gefunden?» Ein eigenartiges Glitzern erschien in seinen Augen.
«Das ist jetzt nicht wichtig», antwortete der Vampir, bevor Vivianne ausplaudern konnte, dass er schon am Tatort gewesen war, als sie überhaupt noch nichts von dem Diebstahl ahnte. Und weil das Fortschaffen einer unbekannten Leiche aus ihrer Wohnung besser nicht an die große Glocke gehängt wurde, hielt sie ausnahmsweise den Mund.
«Wenn du mir sagst, wo der Einbrecher zu finden ist, werde ich mich dort einmal umsehen.» Morgan war nicht anzumerken, ob er ihr Verhalten guthieß oder nicht.
«Ich komme aber mit.» Vivianne wollte sich nicht so einfach übergehen lassen.
«Meinetwegen. Aber du bleibst bei Cyron, während ich in die Wohnung gehe, verstanden?»
Sie verzog das Gesicht und wandte sich um. «Ist dein Freund immer so charmant?»
Cyron umfasste mit der Hand sein Kinn und legte theatralisch die Stirn in Falten: «Lass mich überlegen. Ich glaube, das war das kultivierteste Gespräch, das ich je mit ihm geführt habe. Viens, ma Puce. Während unser Held hier die Brillanten aus dem Feuer holt, werden wir beide uns in dunklen Hauseingängen herumdrücken. Das wollte ich immer schon einmal tun. Besonders mit dir.» Er ignorierte Morgan, nahm gut gelaunt Viviannes Hand, die sie ihm trotz des frivolen Untertons, den sie bisher so nicht von Cyron gekannt hatte, nicht entzog. Sie verließen die Kneipe. Draußen nahm kaum jemand von ihren Begleitern Notiz, während sie selbst gelegentlich abschätzig gemustert wurde, was gewiss nicht an ihrem von dem Wutanfall ruinierten Nagellack lag. Morgan war ganz Vampir, angsteinflößend, finster, unnahbar. Nicht weniger einschüchternd wirkte ihr Freund aus Paris – noch unergründlicher und jenseitiger. Sobald sie genauer hinsah, schien er sich ihrer Aufmerksamkeit zu entziehen. Eben noch hätte sie schwören können, dass Cyron in schwarzes Leder gekleidet war, da erschien er ihr als
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