Der Blutrichter
in den Masten unserer Schiffe versteckt. Das ist natürlich Unsinn.«
Fieten Krai breitete belustigt die Arme aus. »Solche Geschichten nahmen mir die Leute ohne weiteres ab. Dabei müsste eigentlich jeder wissen, dass der Schwerpunkt eines Schiffes tief liegen muss, möglichst unter der Wasserlinie. Gold und Silber im Mast würden ihn nach oben verlagern. Das Schiff könnte viel leichter kentern, und würde es bei einer Seeschlacht sinken, würden alle Schätze auf dem Meeresgrund verschwinden. Das will natürlich niemand.«
Störtebeker klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
»Solange die Leute glauben, was Fieten Krai ihnen erzählt, kommen sie nicht auf den Gedanken, an Land nach unseren Schätzen zu suchen.«
»Bei Spööntje vermuten sie das Gold und das Silber schon gar nicht«, ergänzte der Gaukler. »Das alte Mädchen ist für uns buchstäblich Gold wert.«
Die Freibeuter bargen die Schätze aus den hohlen Balken |374| und füllten sie erst in kleine Beutel und Säcke, um sie dann in Kisten zu verstauen. Diese trugen sie durch den Wald bis zum Pferdewagen.
Störtebeker nahm zwei der Beutel und reichte sie Spööntje.
»Damit kannst du dir in den nächsten zehn Jahren ein angenehmes Leben machen«, versicherte er. »Und solltest du mehr brauchen, dann sag mir Bescheid. Ich helfe dir, wann immer es nötig ist.«
Die Männer bedeckten die Kisten mit zerkleinertem Holz, bis diese nicht mehr zu sehen waren. Spööntje begleitete sie zu dem Pferdewagen, wartete, bis alle notwendigen Arbeiten erledigt waren, und gab Störtebeker zu verstehen, dass er losfahren sollte. Als sie allein war mit Hinrik, bedachte sie ihn mit einer Geste, die eine besondere Verbundenheit bezeugte. Sie ergriff seine Hände, blickte ihm verschmitzt lächelnd in die Augen und sagte: »Vergiss Greetje nicht, wenn wir jetzt auf die Reise gehen. Sie hat viel für dich getan.«
»Ich würde alles geben, wenn ich wüsste, wo ich sie finden kann.«
»Ich kann dir leider nicht helfen«, bedauerte sie. »Aber gib nicht auf. Gott belohnt die Geduldigen.« Ihre Augen wurden feucht. Sie schämte sich dafür und versuchte, ihre Gefühle wie üblich hinter einem polternden Auftritt zu verbergen. »Was stehen wir herum und quatschen? Die anderen sind schon weit weg. Wenn wir nicht aufpassen, holt uns der bronzene Ritter, bevor wir ein letztes Amen gesprochen haben.«
»Danke, Spööntje!« Er lächelte ihr zu, und dann eilten sie hinter den anderen her. Störtebeker sah sie und ließ halten. Hinrik half der alten Frau auf den Wagen. Dann drehte er sich noch einmal um und blickte zurück auf die Stadt Itzehoe. Er glaubte nicht, dass er sie jemals wiedersehen |375| würde. Der Wagen rumpelte einen steilen Weg zum Geestrücken hinauf und in einen kühlen Wald hinein.
Hinrik beobachtete Spööntje, die sich angeregt mit Störtebeker und der »Friesischen Nachtigall« unterhielt. Bessere Informanten als diese beiden hätte der Kommandant der Freibeuter kaum haben können. Während der Gaukler in den Häfen beobachtete, welche Handelswaren auf die Schiffe verladen wurden, und dabei mühelos in Erfahrung brachte, wohin die Schiffe fuhren, sorgte sie dafür, dass der Gewinn aus dem Verkauf der erbeuteten Waren gut versteckt wurde. Außerdem beschaffte sie Störtebeker manch wichtige Information, und niemand kam auf den Gedanken, dass diese alte, ein wenig sonderlich wirkende Frau mit den Freibeutern zu tun hatte.
Nun verließ Spööntje den Ort, an dem sie jahrzehntelang gelebt hatte, um irgendwo in Mecklenburg zu verschwinden und von ihrem Anteil an der Beute zu leben. Er hoffte, dass sie ihm im Verlauf der Reise die eine oder andere Frage beantworten konnte, die ihn beschäftigte. Es war weit bis Wismar. Sie würden viele Tage lang unterwegs sein.
Weitab von Hamburg fühlte er sich sicher. Denn in Wismar, obwohl eine Hansestadt, war er nicht gefährdet. Dort kannte ihn niemand.
Obwohl sich Störtebeker nicht ganz klar ausgedrückt hatte, ging Hinrik davon aus, dass sie einige Monate in Mecklenburg verbringen würden. Störtebeker hatte sich entschlossen, sein bisheriges Leben aufzugeben und keine Kaperfahrten mehr zu unternehmen. Er hatte Geld genug, um bis an sein Ende davon leben zu können. Ebenso Gödeke Michels, der sich irgendwo in England ansiedeln wollte.
Hinrik fragte sich, wie seine eigene Zukunft aussehen |376| sollte. Er hoffte, dass er mit Störtebekers Hilfe einen Weg finden würde. Vielleicht könnte er irgendwann einen
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