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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Nacht für Nacht geträumt hatte.
    Greetje war sich sicher, der Wirklichkeit bereits entrückt zu sein, und murmelte: »Seltsam – das Sterben ist so leicht.«
    »Greetje, meine Greetje«, stammelte jemand, nahm ihr die Schlinge vom Hals und hob sie auf seine Arme. »Mein Gott, was haben sie dir angetan!«
    Der Mann trug sie durch die davonstiebende Menge, vorbei an Claas Störtebeker, der ihr flüchtig seine Hand an die Schulter legte, und vorbei an bärtigen Gestalten bis hin zum Hafen und auf eine Schnigge, an deren Mast eine weiße Flagge mit einem schwarzen Stierkopf flatterte.

|416| Eine Möwe am Fenster
    Gödeke Michels sah aus, als wollte er sich hinter seinem mächtigen schwarzen Bart verkriechen. Er senkte den Kopf, stützte sich mit den Armen auf dem Tisch ab, zog die buschigen Brauen so weit herunter, dass von seinen Augen nichts mehr zu sehen war, und fuhr sich plötzlich mit der Hand durch das krause Haar, das ihm in einer mächtigen Mähne bis auf die Schultern reichte. Er war aufgewühlt. Verlegen focht dieser starke Mann einen Kampf mit sich aus, um sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Dabei versuchte er vergeblich zu verbergen, wie es in ihm aussah.
    In Störtebekers Kabine war es still geworden, nachdem der Anführer der Freibeuter seinen Freund gefragt hatte, wie es ihm in den vergangenen Wintermonaten ergangen war. Sanft wiegte sich die Schnigge in den Wellen der Nordsee. Sie hatten die ostfriesische Küste verlassen. Ein Schwarm von kreischenden Möwen begleitete sie auf ihrem Weg nach Nordwest.
    Störtebeker sah für einen Moment zu Hinrik hinüber und wartete geduldig auf eine Antwort von Gödeke Michels. Die drei Männer waren allein in der engen Kabine.
    »Ich bin ebenso um meine Beute gebracht worden wie du«, berichtete Gödeke Michels endlich. Er hob den Kopf, und jetzt sahen Störtebeker und Hinrik, dass in seinen Augen ein Feuer brannte, das von unmäßigem Zorn genährt wurde. »Ich hatte alles im Haus meines Schwagers versteckt. Er war ein sehr erfolgreicher Stoff- und Pelzhändler |417| in London und ein absolut zuverlässiger Mann. Als nachts eine Gruppe von Männern in sein Haus eindrang, war er mit seiner Frau, meiner Schwester, allein. Das Gesinde hatte frei. So hatte er niemanden, der ihm zur Seite stehen konnte. Alles, was wertvoll war, wurde gestohlen. Auch die Kiste mit meinem Geld. Die beiden wurden ermordet. Danach wurde das Haus angezündet. Nachbarn haben den Brand jedoch rechtzeitig entdeckt und das Feuer gelöscht. Ich kam von einem Besuch in einer Hafenkneipe zurück, als alles vorbei war. Zusammen mit Landsknechten bin ich in das Haus gegangen, habe dort die Leichen gefunden. So konnte ich feststellen, was alles entwendet wurde. Man hat die Männer gesehen, wie sie mehrere Kisten weggeschleppt haben, aber dann sind sie verschwunden.«
    »Die Landsknechte haben sie nicht verhaftet?«, fragte Hinrik.
    »Nein. Sie sind alle entkommen.« Gödeke Michels hob seine Hände und drehte sie langsam hin und her. »Jetzt bin ich arm wie eine Kirchenmaus. Ich habe nichts mehr. Gar nichts.«
    »Wo hattest du dein Geld versteckt?« Störtebeker griff nach einem Krug und trank einen Schluck Bier.
    »Auf dem Dachboden des Hauses hinter allerlei Gerümpel«, offenbarte ihm Gödeke Michels sein Geheimnis. »Vermutlich haben die Maskierten von meinem Schwager erfahren, wo es war. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Es ist weg.«
    »Es gibt einen Verräter unter uns«, stellte Störtebeker ruhig fest. Seine sonore Stimme ließ nicht erkennen, was er bei diesen Worten empfand. »Früher oder später werden wir wissen, wer es ist, und dann ergeht es ihm schlecht.«
    Gödeke Michels sah Hinrik grimmig an. Er hob die Hand und richtete den Zeigefinger auf ihn. »Vielleicht |418| ist er es. Bevor er bei uns auftauchte, hatten wir keine Schwierigkeiten. Du hast ihn besoffen gemacht und dann in die Mangel genommen, aber möglicherweise ist dieser Hund raffinierter, als wir glauben. Vielleicht war er gar nicht so voll, wie er uns glauben machen wollte. Er hat gewusst, dass du das Geld zum Sperberhof gebracht hast, und er war darüber informiert, dass ich mein Geld mit nach London genommen habe.«
    »Und nachdem ich diese Schätze gestohlen habe – an der Seite meines Todfeindes, des bronzenen Ritters – und somit steinreich geworden bin, habe ich mich euch wieder angeschlossen«, entgegnete Hinrik spöttisch. »Das ist überzeugend, was? Meint Ihr nicht, dass ich mich

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