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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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nicht in Sicherheit. Die offene Nordsee lag vor ihr, doch wenigstens vier Koggen waren ihr bedrohlich nahe. Außerdem fuhr die »Bunte Kuh« unter ihrem riesigen Segel in erstaunlicher Geschwindigkeit.
    Wiederum erwies sich Claas Störtebeker als außerordentlich geschickter Seemann. Er nutzte alle Möglichkeiten, die ihm die Natur bot.
    Völlig unerwartet meldete sich der Späher im Korb.
    »Eine Kogge auf steuerbord!«, rief er.
    Bisher war das Schiff der Hanse im Nebel verborgen gewesen. Nun war es plötzlich kaum hundert Ellen neben der »Möwe«. Hinrik sah, dass sich das Rohr einer Kanone auf sie richtete. Bevor er einen Alarmschrei ausstoßen konnte, blitzte es hell auf, und mit einem ohrenbetäubenden Lärm explodierte das Pulver im Rohr der Kanone. Unmittelbar danach schlug die Kanonenkugel mit verheerender Wucht in die Flanke der Schnigge, die bis in die letzten Planken hinein erschüttert wurde.
    Hinrik stand wie erstarrt da. Er sah zu dem anderen Schiff hinüber, auf dem Feuer ausgebrochen war. Die Flammen stiegen gierig hoch bis zum Segel und setzten es in Brand. Fraglos war die Kanone bei dem Schuss selbst zerstört worden. Hinrik vermutete, dass das Rohr geplatzt war. In diesem Augenblick neigte sich der Mast weit zur Seite. Der Ausspäher stürzte aus dem Korb und verschwand in der See.
    Hinrik eilte zur Reling, doch er sah den Mann nicht mehr. Es gab nicht das geringste Anzeichen von ihm. Keine Hand, die aus dem Wasser ragte, kein Halstuch oder |475| Hemd, das an die Oberfläche getrieben wurde. Nichts. Die See hatte ihn bereits verschlungen. Die Schnigge glitt weiter durch das Wasser, und die Stelle, an welcher der Ausspäher sein Ende gefunden hatte, verschwand im Nebel.
    Störtebeker erteilte mit lauter Stimme Kommandos. Das Segel faltete sich zusammen, der Mast war etwa auf halber Höhe zerbrochen, und ein großer Teil der Taue lag im Wasser. Sie wirkten wie Treibanker und verringerten die Geschwindigkeit der »Möwe«. Weder von der »Bunten Kuh« noch von den anderen Schiffen der Hanse war etwas zu sehen. Der Nebel war so dicht geworden, dass die Sicht kaum zweihundert Ellen weit reichte.
    Gödeke Michels arbeitete mittschiffs. Zusammen mit einigen anderen Männern kappte er das Tauwerk und holte danach alles an Bord, was zu bergen war. Nun senkte sich der Mast vollends herab, bis er mit mäßiger Wucht auf die Reling prallte. Die »Möwe« konnte nicht mehr segeln. Sie konnte sich nur treiben lassen.
    Störtebeker stieg vom Achterkastell zu seinen Männern hinab und wies einen nach dem anderen an, leise zu sein. Sie gehorchten. Sie legten ihr Handwerkszeug zur Seite und verhielten sich still. Es galt, jedes Geräusch zu vermeiden und zugleich in den Nebel hinauszuhorchen, um auf diese Weise herauszufinden, wo der Feind war. Dass die »Möwe« den Mast verloren hatte, war ein gewaltiger Nachteil. Vorteilhaft aber war, dass nun nichts mehr aus dem Nebel ragte, was die Hanseaten sehen konnten.
     
    »Inga, Ihr seid eine ehrenwerte Frau. Wir alle achten Euch«, sagte Hein Schwan. Er sprach so laut, dass die Umstehenden ihn verstehen konnten. Unruhig schritt er vor ihr auf und ab. »Aber es geht hier nicht um die Frage, |476| wie Wunden behandelt werden müssen. Dass Entzündungen nichts mit Sauberkeit oder Schmutz zu tun haben, ist eine allgemein anerkannte, wissenschaftliche Tatsache. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es vollkommen gleichgültig ist, ob man eine Wunde säubert oder nicht. Sie heilt, wenn Gott es so will. Das könnt Ihr nicht wissen, weil Ihr keine Ärztin seid.«
    »Um was geht es dann?«, fragte die Kapitänsfrau.
    »Um die göttliche Ordnung«, rief der Arzt, wobei er Beifall heischend in die Runde blickte. »Wie wir als Christen alle wissen, entfachen Sünden den Zorn Gottes. Nur durch eine Gott gefällige Buße kann die göttliche Ordnung wiederhergestellt werden. Ihr könnt den Priester fragen. Er wird Euch bestätigen, dass der Allmächtige in einem fortwährenden Kampf gegen den Teufel steht.«
    »Das ist wahr«, meldete sich der Priester zu Wort. Er richtete sich auf und faltete die Hände vor der Brust, gewiss, dass aller Aufmerksamkeit sich in diesem Augenblick auf ihn richtete. »Die Menschen sind entweder für Gott, indem sie so leben, wie er es in der Bibel bestimmt hat, oder sie sind gegen ihn und schlagen sich auf die Seite des Satans. Wer das tut, muss vernichtet werden – durch die reinigende Kraft des Wassers. Oder durch die ebenfalls reinigende Kraft des

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