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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Feuers.«
    »Da hört Ihr es, Inga.« Hein Schwan war sich seines Sieges sicher.
    »Allerdings. Das habe ich gehört«, bestätigte sie, wobei sie auffallend ruhig blieb. »Welche Sünde hat Greetje begangen?«
    »Die Sünde des ... des . . .«, stammelte er, überrumpelt und vor Zorn gerötet. »Ach, Ihr wisst genau, was ich meine. Ich verlange ein Gottesurteil. Wenn sie das besteht, bin ich von ihrer Unschuld überzeugt.«
    »Ihr seid es, der sündigt«, klagte Inga ihn an. »Ihr folgt |477| Eurer Habgier und Eurer Eitelkeit. Weil eine junge Frau die Heilkunst besser beherrscht als Ihr, wollt Ihr sie aus dem Weg haben.«
    »Sie hat sich versündigt. Sie ist eine Hexe!«, brüllte der Arzt.
    Nun löste sich die kleine Gestalt Kort Grotjahns aus der Menge. Langsam, beinahe bedächtig stapfte er durch den weichen weißen Sand heran. Still, jedoch mit unverkennbarer Kampfeslust streckte er das bärtige Kinn vor.
    »Das reicht!« In dem breiten Dialekt der Inselbewohner fuhr er Schwan in die Parade. Er hatte eine wohlklingende Stimme, die er kaum heben musste, um sich bei allen verständlich zu machen. »Wenn Ihr Eurer Sache so sicher seid, dann unterwerft Euch selbst einem Gottesurteil. Ein Risiko kann das für Euch nicht sein. Oder? Ich meine, wir alle sollten wissen, ob Ihr die Wahrheit gesagt habt oder ob Ihr neidisch und missgünstig seid, weil es Greetjes Patienten so viel besser geht als Euren. Ob Euer Gott die einen rettet und die anderen straft oder ob Greetje ganz einfach besser ist als Ihr. Für die Kranken der Insel kann es nur vor Vorteil sein, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.«
    Die Reaktion der Männer und Frauen um sie herum überraschte Greetje. Sie hatte sich bereits verloren gesehen, doch nun wendete sich das Blatt. Die Stimmung schlug um, richtete sich gegen Hein Schwan, auf dessen Seite durchaus nicht alle auf der Insel standen, und machte einer gewissen Schadenfreude Platz. Alle konnten sehen, dass es den von Inga und ihr behandelten Männern tatsächlich besser ging als den anderen. Viele der Inselbewohner und der Freibeuter hatten Freunde oder Verwandte unter den Verwundeten. Ihr Zustand gab ihnen entweder Anlass zur Trauer oder zur Freude, je nachdem auf welcher Seite sie lagen.
    |478| »Ich denke, das ist ein kluger und gerechter Vorschlag«, befand der Priester.
    Greetjes ganze Aufmerksamkeit galt ihm, denn sie spürte, dass von ihm die größte Gefahr ausging. Ihr fiel auf, dass er unter einer großen Anspannung stand und dass er die Umstehenden genau beobachtete. Sie meinte ergründen zu können, was in seinem Kopf vorging. Er war ein geachteter und einflussreicher Mann. Hier auf der Insel war man den Naturgewalten in einem ganz anderen Maße ausgeliefert als auf dem Festland. Umso mehr vertraute man auf Gott, und umso mehr suchte man Rat und Beistand beim Priester. Für diesen stand viel auf dem Spiel. Entschied er sich falsch, wurde er unglaubwürdig und verlor an Macht und Einfluss.
    »Ein guter Vorschlag?« Hein Schwan blickte den Priester entsetzt an. »Habe ich richtig gehört?«
    »Was kann dir schon passieren?«, entgegnete der Priester, der sich nun zunehmend entspannte. Die Entscheidung war gefallen, und die Reaktionen der Umstehenden zeigten ihm, dass er sie im Sinne sowohl der Freibeuter als auch der Inselbewohner getroffen hatte.
    Greetje blickte Inga an. Die Kapitänsfrau lächelte kaum merklich und blinzelte ihr für einen kurzen Moment zu. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie es geschafft, die Aufmerksamkeit aller auf Hein Schwan zu lenken.
    »Zündet ein Feuer an«, forderte der Priester. »Für das Gottesurteil benötige ich ein glühendes Eisen.«
    »Das könnt Ihr mir nicht antun!«, protestierte der Inselarzt.
    »Was regst du dich auf? Für dich ist es eine kleine Sache. Die Wahrheit ist auf deiner Seite. Du wirst das glühende Eisen in die Hand nehmen und bis zur Steintreppe hinübertragen, ohne dich zu verbrennen. Wenn Gott uns durch dieses Urteil wissen lässt, dass du reinen |479| Herzens bist, befassen wir uns mit Greetje. Verbrennst du dich und verheilen die Wunden nicht innerhalb von zwei Tagen, sieht es schlecht für dich aus.«
    Bleich sank Hein Schwan auf die Knie. Flehend streckte er dem Priester die gefalteten Hände entgegen.
    »Hat der Papst nicht ausdrücklich verboten, dass Würdenträger der Kirche bei Feuer- und Wasserproben mitwirken?«, fragte er mit bebender Stimme.
    »Nein, das hat er nicht«, widersprach der Priester. »Er hat etwas klargestellt.

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