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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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in die Dunkelheit und einen schier unerträglichen Gestank nach Abfällen und Verwesung.
    Störtebeker und Gödeke Michels machten sich weniger Sorgen als er. Sie vertrauten auf das Wort eines ehrbaren Kaufmanns und auf den Vertrag. Sie glaubten an die Aufrichtigkeit der vielen Zeugen, und sie beschworen Hinrik, endlich seine Skepsis aufzugeben.
    »In diesem Kerker ist es alles andere als angenehm«, sagte Störtebeker, als er sich neben Hinrik auf den Boden sinken ließ, sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte und die Ratten beobachtete, die überall herumliefen. »Er ist verlaust, verwanzt und verdreckt. Schlimmer als jeder andere Ort, an dem ich mich in meinem Leben befunden habe. Ich bin das erste Mal in einem Kerker. Wie ekelhaft es hier ist, habe ich mir nicht vorstellen können. Es ist eine Schande, dass Christenmenschen einander so etwas zumuten. Nun gut. Es ist nur für ein paar Tage. Das stehen wir durch.«
    Einige Tage später verfluchte er das Ungeziefer, das zur Plage wurde. Nach zwei Wochen war er nicht mehr ganz |509| so zuversichtlich und wurde rebellisch. Immer häufiger trat er gegen die Tür, um die Wärter zu fragen, wie lange sie noch ausharren mussten.
    »Der Prozess wird vorbereitet«, lautete die stereotype Antwort. »Das geht nicht so schnell.«
    Nach drei Wochen verlor Störtebeker die Geduld. Er schrie die Wärter an. Als er damit nichts erreichte, versuchte er gemeinsam mit einigen Männern die Tür aus den Angeln zu brechen. Es gelang ihnen nicht. Wütend verlangte er, Wilham von Cronen zu sprechen. Die Wärter hörten ihm nicht zu.
    »Es hat keinen Sinn, aufzubegehren«, ermahnte Hinrik ihn, der dem Treiben gelassen zusah. »Hier unten im Kerker seid Ihr gar nichts mehr. Ihr seid auf Gedeih und Verderb den Wärtern ausgeliefert. Sie sind sich dessen bewusst, und sie kosten ihre Macht aus. Sie geben keine Nachricht von oben an uns weiter und von hier unten nach oben sowieso nicht. Solange Wilham von Cronen ihnen nichts anderes befiehlt, kochen sie uns weich. Je mehr wir uns wehren, desto größer ihr Triumph. Das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe. Es sind menschliche Ratten. Mehr nicht.«
    Die Zeit der Haft hatte Spuren ebenso bei ihm wie auch bei den anderen Gefangenen hinterlassen. Er hatte an Gewicht verloren. Sein Bart und sein Kopfhaar waren kräftig gewachsen. Längst hatte er den Kampf gegen die Läuse aufgegeben. Die beim Kampf auf See und im Watt davongetragenen Wunden verheilten schlecht und sehr langsam.
    »Genau das! Menschliche Ratten sind sie.« Störtebeker nickte. Unruhig ging er in dem engen Kerker auf und ab. Er konnte nur kleine Schritte machen, weil die Kette an seinem Fußgelenk ihn behinderte. Immerhin war er in der Lage, einer Ratte einen Fußtritt zu versetzen, die ihm |510| nicht rechtzeitig auswich. Laut kreischend flog sie in eine Ecke, wo sie sich blitzschnell in einem Loch in der Mauer verkroch. »Das Essen ist so schlecht, dass sogar die Ratten einen Bogen darum machen, und das Wasser ist faulig, so dass wir krank davon werden.«
    Aufgebracht trat er gegen die Tür.
    »Wir haben einen Vertrag.« Er ignorierte Hinriks Worte. Er schien wahrhaftig zu glauben, dass er bei den Wachen irgendetwas ausrichten konnte. »Wenn von Cronen sich uns verweigert, wird der gesamte Rat der Stadt Hamburg erfahren, was für Geschäfte der hohe Herr mit uns gemacht hat.«
    Eine Woche später öffnete sich die Tür. Draußen standen die Wachen. Jeder von ihnen hielt einen Dolch in der Hand.
    »Kommt heraus. Der Richter wartet auf euch«, befahl einer von ihnen. »Claas Störtebeker, Gödeke Michels und fünf andere! Nicht mehr.«
    Hinrik atmete auf. Endlich sollte die Gerichtsverhandlung beginnen. Er erhob sich, um sich den Männern anzuschließen, damit aber waren die Wachen nicht einverstanden. Sie wiesen ihn zurück. Er musste im Kerker bleiben, während die beiden Anführer mit fünf ihrer Männer die Treppen hinaufstiegen. Unruhig ging Hinrik auf und ab, setzte sich schließlich aber wieder auf den Boden. Da kein Tageslicht in diesen Kerker drang, gab nur das Verhalten der Wachen einen vagen Hinweis darauf, wie viel Zeit vergangen war. In der Regel wechselten sie sich alle vier Stunden ab, doch nicht immer hielten sie sich daran, und auch die Mahlzeiten boten keinen klaren Anhaltspunkt.
    Hinrik vermutete, dass Störtebeker und die anderen zunächst einmal im Hof des Gerichtsgebäudes gewaschen und mit neuen Kleidern versorgt wurden, so wie es ihm |511| widerfahren

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