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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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einmal in Hamburg im Kerker sitzen, werden sie begreifen, dass wir sie gründlich reingelegt haben. Man muss nicht unbedingt immer mit der Waffe in der Hand kämpfen, oftmals ist der Verstand die schärfere Waffe! Zum Wohl, meine Herren. Wir brauchen mehr Bier. Bis wir in Hamburg sind, sollten wir unseren Sieg feiern.«
    |506| Hinrik vom Diek stand hinter Claas Störtebeker und Gödeke Michels, als diese den Befehl erhielten, von Bord zu gehen. Beim Einlaufen von der Elbe in die Alster hatten die Wachen ihnen die Hände auf den Rücken gefesselt. Er blickte auf die Menge, die sich im Hafen der Stadt versammelt hatte, um jene Männer zu bestaunen, die über viele Jahre hinweg die Handelsherren der Städte an Ost und Nordsee das Fürchten gelehrt hatten. Er kannte noch einige von ihnen, aber niemand achtete auf ihn. Die ganze Aufmerksamkeit galt den beiden Anführern der Vitalienbrüder.
    Ein Raunen ging durch die Menge. Die Besatzungen jener Schiffe, die zuvor eingetroffen waren, hatten offenbar verbreitet, welche Gefangenen nach Hamburg gebracht wurden. Jetzt wollten alle diese berühmt-berüchtigten Männer sehen. Um ganz sicher zu sein, dass jeder begriff, welchen Erfolg er erzielt hatte, ließ Wilham von Cronen eine Trommel schlagen und einen seiner Helfer über die Reling hinweg rufen: »Das ist Claas Störtebeker, der gefährlichste aller Freibeuter.«
    »Nun geh schon!«, befahl einer der Wächter. Er holte aus, um Störtebeker einen Stoß zu versetzen, als dieser ihn jedoch anblickte, ließ er die Faust erschrocken sinken.
    Wieder gab es einen Trommelwirbel. Wilham von Cronen genoss seinen Auftritt.
    »Gödeke Michels!«
    Als die beiden Anführer das Schiff verlassen hatten, folgten Hinrik, Heiner Wolfen und die anderen Likedeeler. Hinrik blieb kurz stehen und blickte auf die Kogge zurück. Christoph erschien neben seinem Vater. Er stellte sich in respektvollem Abstand hinter ihn. Wilham von Cronen zeigte dem Trommler an, aufzuhören. Ein Ausdruck tiefer Zufriedenheit lag auf seinem Gesicht. Der Ratsherr sah sich als den großen Sieger an. Er hatte es |507| geschafft, die Freibeuter niederzuringen und zu entwaffnen.
    Einige in der Menge begannen zu applaudieren.
    Irgendjemand rief: »Seht genau hin. Das ist unser neuer Bürgermeister!«
    Wilham von Cronen tat, als würde er es nicht hören. Für einen kurzen Moment sah Hinrik ihn geschmeichelt lächeln. Auf einmal lichtete sich der Nebel, der ihm bisher die Sicht auf die Motive dieses Mannes verwehrt hatte. Plötzlich glaubte er zu wissen, was in ihm vorging. Der Ratsherr war überzeugt, dass ihm der entscheidende Schritt auf dem Weg zum Bürgermeisterstuhl der Hansestadt gelungen war. Hinrik meinte, ihm ansehen zu können, dass der Ehrgeiz in ihm loderte. Von nun an würde er sich nicht mehr aufhalten lassen. Eine derartige Ruhmestat war noch keinem Hamburger vor ihm gelungen. Vermutlich würde er als Bezwinger Störtebekers und somit als einer der bedeutendsten Hamburger in die Geschichte eingehen. Schon jetzt war er derjenige, der Nord- und Ostsee sicherer gemacht hatte.
    Wilham von Cronen befand sich auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn.
    Hinrik spürte, wie sich sein Innerstes verkrampfte. Immer klarer wurde, dass er sich hatte täuschen lassen. Es war ein Fehler gewesen, zu glauben, dass Wilham von Cronen in erster Linie eine friedliche Einigung wollte, um ungestört seinen Geschäften nachgehen zu können. Dieses Ziel war zweitrangig. Tatsächlich hatte er vor allem anderen die Ausweitung seiner Macht in der Hansestadt im Auge.
    Wachmannschaften nahmen die Gefangenen entgegen, um sie in Gruppen zu jeweils fünfzehn Mann zu dem Kerker unter dem Rathaus zu führen. Einhundertdreiundfünfzig Männer stiegen die Treppen zu den düsteren |508| Verliesen hinab und verschwanden in den engen, feuchten Kavernen. Hinrik vom Diek kannte sich aus. Nur zu gut erinnerte er sich an die Zeit seiner Gefangenschaft. Er blieb so lange wie möglich auf dem Hof, um das Tageslicht zu genießen.
    Als sich die Eisentür hinter ihm schloss und die Riegel vorgeschoben wurden, hatte er das Gefühl, mit seinem Leben abschließen zu müssen. Er stieg die Treppen hinunter, und dabei war ihm, als führte ihn jede einzelne Stufe tiefer ins Verderben. Eine innere Stimme riet ihm umzukehren, die Stufen hinaufzustürmen und sich ins Freie durchzukämpfen, weil dies die letzte ihm verbleibende Möglichkeit war, jemals wieder das Tageslicht zu sehen. Doch er ging weiter. Stufe um Stufe hinab

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