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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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war. Was danach geschah, war vollkommen offen. Er hielt es für möglich, dass Wilham von Cronen die Gerichtsverhandlung eröffnete, sich vielleicht sogar an den geschlossenen Vertrag hielt und eine finanzielle Einigung anstrebte. Es konnte aber auch sein, dass er Störtebeker und die anderen stundenlang auf dem Hof stehen und warten ließ, um sie am Ende wieder in den Kerker zu schicken.
    Die innere Unruhe hielt ihn wach, bis Störtebeker, Michels und die fünf anderen Männer endlich zurückkehrten. Sie trugen einfache Kleider aus einem groben grauen Stoff. Es waren kaum mehr als Tücher, die mit einem Loch für den Kopf und zwei weiteren für die Arme versehen waren und um die Hüften herum mit einem Band geschnürt wurden. Störtebeker blutete aus einer Wunde über dem Ohr.
    »Was ist passiert?«, fragte Hinrik.
    Störtebeker lehnte sich zurück und atmete einige Male tief durch, bevor er antwortete: »Von Cronen hat uns betrogen. Der Vertrag ist nichts wert.«
    Hinrik hatte von Anfang an gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war. Dennoch traf ihn die Nachricht so hart, dass ihm übel wurde. Mit ruhiger, sonorer Stimme schilderte Störtebeker, welch Schelmenstück Wilham von Cronen sich geleistet hatte.
    »Wir haben getobt, als wir davon erfahren haben«, ergänzte Gödeke Michels. »Wir haben versucht, ihn anzugreifen und für die Gemeinheit abzustrafen, die er begangen hat. Aber mit Ketten an den Füßen ist schlecht kämpfen. Sie haben uns zusammengeschlagen. Und Wilham von Cronen saß auf dem Richterstuhl, sah zu und grinste.«
    »Dieser Mann hat keine Ehre«, schimpfte Störtebeker. »Auf das Wort eines Freibeuters konnte ich mich jederzeit |512| verlassen. Auf das Wort dieses Ratsherrn nicht. Vermutlich spielt gar keine Rolle, dass die anderen Unterzeichner keine Ratsherren waren. Auch wenn sie echt gewesen wären, hätte das keinen Unterschied gemacht.«
    »Wie ging es zu Ende?«, fragte Hinrik.
    Gödeke Michels zuckte mit den Achseln. Verächtlich spuckte er auf den Boden.
    »Wie schon! Mit dem Todesurteil. Wir waren stellvertretend für alle im Gerichtssaal. Wilham von Cronen schickt uns auf den Grasbrook. Der Henker wird viel zu tun haben. Immerhin hat er einhundertdreiundfünfzig Urteile zu vollstrecken. Sogar die Reihenfolge hat von Cronen festgelegt. Ich bin der erste. Dann kommt Störtebeker. Danach Ihr, Hinrik vom Diek.«
    »Wir haben noch genau drei Tage zu leben«, fügte Störtebeker hinzu. »Zeit genug, zu unserem Gott zu beten.«
     
    Bestürzt blieb Greetje vor ihrem Haus in Hamburg stehen. Am Türgriff baumelte ein Häubchen mit bunten Bändern. Eine Horde Jungen stob lachend und feixend davon. »Da hat sie ihre Hurenhaube! Da hat sie ihre Hurenhaube!«, schrien sie.
    Erzürnt nahm sie das Zeichen des Makels ab, eilte zum nächsten Fleet und warf es hinein. Ungehalten über die Frechheit der Jungen kehrte sie zu ihrem Haus zurück, trat ein – und erlitt einen Schock. Sie hätte schreien mögen vor Zorn und Trauer, denn das Innere ihres Hauses war vollkommen zerstört. Eine Meute Wahnsinniger schien darin gewütet zu haben.
    Wie sehr hatte sie sich nach diesem Zuhause gesehnt, das ihr einen sicheren Rückzug erlauben sollte. Thore Hansen hatte sie auf der ganzen Fahrt von Helgoland bis Hamburg belästigt, ohne sich um ihre schroffe Zurückweisung |513| zu kümmern. Dass sie ihm die kalte Schulter gezeigt hatte, schien ihn nur noch mehr herauszufordern.
    Sechs lange Tage hatte das Schiff gebraucht, um bei widrigen Winden die Hansestadt zu erreichen. Wie eine Erlösung war es ihr vorgekommen, als sie ihr Haus gesehen hatte.
    Und nun stand sie vor Trümmern. So gut wie nichts war heil. Jemand hatte das Haus durchsucht, hatte die Verkleidung von den Wänden gerissen, die Fußbodendielen aufgebrochen, Schränke umgestürzt und bis zu den Dachschindeln hinauf nichts unversehrt gelassen. Überall lagen Kräuter und Arzneimittel herum. Kein Gefäß war verschlossen, kein Topf stand im Schrank. Ratten machten sich über die Speisen her, die in der Vorratskammer an der Decke gehangen hatten.
    Greetje setzte sich auf die Treppe, weil sie das Gefühl hatte, ihre Beine könnten sie nicht mehr tragen. Sie konnte sich nicht erklären, was geschehen war. Während sie überlegte und nach einer Antwort auf ihre Fragen suchte, löste sich die Spannung der letzten Tage in ihr, und sie begann hemmungslos zu weinen. Sie konnte ihre Tränen einfach nicht mehr zurückhalten. Sie schalt mit sich selbst, nannte sich

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