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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Jahren, während Ihr neu seid auf der Insel. Er wird von vielen geächtet, aber nicht von allen.«
    »Er läuft frei herum?« Greetje blickte sie erstaunt an.
    »Wir haben keinen Kerker auf der Insel. So etwas haben wir nie benötigt. Also kann sich Hein bis zu seiner Verurteilung frei bewegen.«
    »Ich wünschte, ich hätte eine für uns alle erträgliche Lösung«, seufzte Greetje, während sie zusammen mit Inga das Haus verließ. »Hein Schwan ist ein dummer Mensch, aber den Tod hat er nicht verdient. In all den Jahren auf der Insel hatte er es einfach. Niemand hat ihm auf die Finger gesehen, wenn er Kranke behandelt hat. Erst jetzt haben die Helgoländer und die Likedeeler gesehen, dass es andere, vor allem bessere Wege gibt, Patienten zu versorgen.«
    |501| Erschrocken blieb sie stehen, denn sie hatte eine Stelle erreicht, von der aus sie freie Sicht auf das Meer hatte. Eine Flotte näherte sich der Insel. An ihren Masten flatterte die Fahne der Hanse. Greetje zählte mehr als zwanzig Schiffe, und sie entdeckte weitere, die sich in einiger Entfernung von der Insel aufhielten, darunter ein ganz besonders großes Schiff. Die Übermacht war so groß, dass die wenigen Schiffe der Freibeuter nicht mehr entkommen konnten.
    »Sie haben den Weg durch die Untiefen zu uns gefunden«, rief Inga Grotjahn, die nicht minder erschrocken war. »Wie ist das möglich?«
    Irgendwo unten bei den Klippen schlug jemand ein Alarmeisen. Der helle, durchdringende Ton war auf weiten Teilen der Insel zu hören und trieb die Freibeuter ebenso aus den Häusern wie die Helgoländer. Laut schreiend eilten die Männer hinunter zum Strand. Viele von ihnen waren mit Schwertern, Lanzen und Messern bewaffnet. Sie alle schienen entschlossen zu sein, sich gegen die Angreifer zu wehren.
    Zwei der Koggen, die eine weiße Flagge mit dem Stierkopf gesetzt hatten, nahmen den Kampf gegen die Hanse-Schiffe auf, doch brach ihr Widerstand schnell. Eine der Hanse-Koggen nach der anderen erreichte den Strand, und zahllose Bewaffnete sprangen heraus und stürmten den Klippen entgegen, vorbei an den einfachen Unterständen, die man für die vielen Verwundeten errichtet hatte.
    »Wir werden bald gebraucht«, sagte Inga erstaunlich nüchtern und gefasst. »Kommt mit ins Haus. Wir bereiten Verbandsmaterial vor. Außerdem ist es besser, man ist im Haus, wenn so etwas passiert.«
    Sie eilten zum Kapitänshaus, wo Inga ihren Mann unterrichtete. Sie war jetzt aufgeregt, sprach viel schneller als gewöhnlich und verhaspelte sich einige Male, bis er sie |502| in die Arme nahm und ihr besänftigend den Rücken streichelte.
    »Sie werden uns in Ruhe lassen, Inga. Es geht gegen die Freibeuter, nicht gegen uns. Du wirst sehen.« Zu Greetjes Beruhigung verriegelte er die Haustür dreifach und legte zusätzlich einen Balken davor. Die Fenster waren hoch, jedoch so schmal, dass niemand hindurchsteigen konnte.
    Gemeinsam mit Kort und Inge zog Greetje sich in die Küche zurück. Der Kapitän bat um eine heiße Brühe. Seine Hand bebte. Er fürchtete sich weit mehr, als er zugeben wollte. Sie vernahmen den Schlachtenlärm und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Da die Freibeuter zu wissen glaubten, dass der Henker auf sie wartete, so die Hanse ihrer habhaft wurde, kämpften sie um ihr Leben. Sie waren nicht bereit, sich widerstandslos festnehmen zu lassen. Sie wollten auf keinen Fall aufgeben und zogen es vor, sich bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
    Mal schien es, als hätten die Kämpfer der Hanse das Oberland erobert, dann wiederum hörte es sich so an, als wären sie von den Freibeutern über die Klippen auf den Strand zurückgetrieben worden.
    Als Greetje durch eines der Fenster im Obergeschoss hinausblickte, sah sie mehrere Leichen zwischen den Häusern liegen. Jahrelang hatten die Vitalienbrüder ungestört und von den Einheimischen hoch willkommen auf Helgoland leben können. Sie waren daran gewöhnt, sich in ein friedliches Refugium zurückziehen zu können, geschützt durch zahllose Sandbänke und eine äußerst schwer zu berechnende Strömung.
    »Die Insel ist nicht auf einen Angriff vorbereitet«, vermutete Greetje.
    »Nein, das ist sie nicht«, bestätigte Kort Grotjahn, wobei er nachdenklich an einem Stück Holz kaute. »Niemand hat sich vorstellen können, dass so etwas passiert.«
    |503| Irgendwann im Verlauf des Nachmittags wurde es ruhig. Nur die Rufe einiger Möwen, das Rauschen der fernen Brandung und der Wind, der durch die Gassen pfiff,

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