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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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richtete sich auf, die von den Fesseln befreiten Arme zur Seite gestreckt, die Finger in heftiger Bewegung, als suchten sie Halt. Doch setzte der Körper seinen Weg nicht in Richtung Bruder fort. Die Wucht des Schwerthiebes schleuderte ihn herum, so dass er sich Hinrik, Heiner Wolfen und den anderen Todeskandidaten zuwandte.
    Mit zuckenden Beinen taumelte er voran, wurde von Schritt zu Schritt schneller, lief an Hinrik, Heiner Wolfen, Matten Reeper und Chrischan Torpf vorbei, orientierungslos auf der Suche nach dem Bruder Peer, der bei diesem Anblick auf der Tribüne zusammenbrach.
    Dann aber war es schlagartig vorbei. Eine unsichtbare Hand schien Störtebeker die Beine unter dem Leib wegzuschlagen. Er ging zu Boden und rührte sich nicht mehr.
    Es war totenstill geworden. Dann ergriff Wilham von Cronen das Wort.
    »Wir haben viel zu tun an diesem Tag«, rief er. »Hinrik vom Diek, Ritter zu Heiligenstätten. Tritt vor den Henker!«
    »Nein!« Die Stimme Greetjes übertönte alle anderen. Die junge Frau stand auf. Beschwörend streckte sie dem Richter die Arme entgegen. »Ihr habt versprochen, ihn zu verschonen. Ihr habt mir Euer Ehrenwort gegeben.«
    |531| »Bringt die dumme Gans zur Ruhe«, befahl der Ratsherr, ohne Greetje eines Blickes zu würdigen. »Hinrik vom Diek, wie lange sollen wir auf Euch warten?«
    Hinrik gehorchte. Langsam schritt er auf den Henker zu. Die Narbe auf seiner Stirn brannte, als wäre sie ihm eben erst geschlagen worden. Ihm war, als hätte ihn nicht ein Ochsenziemer getroffen, sondern ein Dolch, der ihm von dort bis tief ins Herz drang und einen bohrenden Schmerz auslöste.
    »Nein, nein, bitte nicht!«, stammelte Greetje. »Gilt das Ehrenwort eines Ratsherrn denn gar nichts mehr?«
    »Henker, walte deines Amtes!«, befahl Wilham von Cronen.
    »Halt!« Nikolaus Schocke schnellte von seinem Sitz hoch. »Um Himmels willen, haltet ein! Seht Ihr denn nicht, welchen Hinweis uns das Schicksal gibt? Entsetzliches Unglück wird über die Stadt Hamburg kommen, wenn wir die Zeichen missachten!«
    Der abergläubische Bürgermeister war kreidebleich. Nervös zuckten seine Lider. Die Perücke mit den langen weißen Haaren war ob der hastigen Bewegung verrutscht. Er bemerkte es nicht. Beschwörend hob er die Arme, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken.
    »Was soll der Unsinn?«, fragte Wilham von Cronen ungehalten. »Kniet Euch hin, Hinrik vom Diek, damit Ihr den Hieb empfangen könnt!«
    »Nein«, protestierte Nikolaus Schocke. »Der Himmel hat uns ein eindeutiges Zeichen gegeben, indem er Störtebeker erlaubte, sich selbst als Toter noch zu bewegen. Ich warne Euch eindringlich. Niemals zuvor ist Derartiges geschehen. Wer geköpft wurde, kann sich nicht mehr bewegen. Und doch hat Störtebeker es getan. Nur göttliche Kräfte können ihn dazu befähigt haben. Die Mächte des Himmels haben uns damit zu verstehen gegeben, dass |532| die Männer, an denen Claas Störtebeker vorbeigegangen ist, nicht getötet werden dürfen!«
    »Hört nicht auf ihn«, forderte Wilham von Cronen, der sichtlich nervös geworden war. »Sein Geist scheint sich verwirrt zu haben.«
    »Es ist ein Zeichen Gottes! Ein Zeichen Gottes!« Dem Bürgermeister stand die Furcht vor den Mächten des Schicksals ins Gesicht geschrieben. »Wenn wir dieses Zeichen nicht achten, wird die Stadt Hamburg mit all ihren Bewohnern untergehen. Ihr Ratsherren, erlaubt nicht, dass wir einen göttlichen Befehl missachten. Verbietet die Hinrichtung dieser vier Männer!«
    »Nein, nein, nein«, sträubte sich Wilham von Cronen. »Das lasse ich nicht zu. Ich bin der Richter. Ich habe die Freibeuter besiegt. Ich habe sie alle zum Tode verurteilt. Mein Wort gilt.«
    Hinrik sah, wie die Ratsherren sich erhoben und wie einer nach dem anderen sich gegen Wilham von Cronen wandte. Ihm wurde schwindelig. Während Matten Reeper hinter ihm auf die Knie fiel und flehend die gefalteten Hände hob, beobachtete Hinrik Nikolaus Schocke, der in dieser Situation um Ansehen, Macht und wohl auch um sein Amt kämpfte. Wegen seiner seltsamen Art wurde er von vielen in der Stadt unterschätzt. Jetzt wollte er sich durchsetzen.
    Hinrik sah, wie Greetje zum Bürgermeister eilte und auf ihn einredete und wie die Ratsherren, einer nach dem anderen, die Hand hoben.
    Wie betäubt stand er da, als zwei Wächter herantraten und ihm, Heiner Wolfen und den beiden anderen die Fußfesseln abnahmen.
    Hinrik rannte los. Er stürmte an dem Henker vorbei, schwang sich die Palisaden

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