Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Topdesigner" gepriesen und im Dezember 2009 heißt es: „Ätsch
Hamburg! Ätsch Berlin! Wer hat denn hier die meisten Promis? Keine
Frage: Gestern war es wieder einmal Hannover!" Jahrelang wird über
Wulff, seine Unternehmerfreunde und das Leben, das sie führen, voller Wohlwollen berichtet. Auch der Urlaub des Bundespräsidenten
Wulff im Maschmeyer-Domizil auf Mallorca ist für Bild kein Problem,
während er in anderen Medien kritisch thematisiert wird: „So normal
macht Papa Präsident Urlaub", erfährt der Bild-Leser. Als Wulff im
Dezember 2011 aufgrund seiner Nähe zu ebendiesen Unternehmerfreunden unter Druck gerät und das Bild des glamoursüchtigen
Schnäppchenjägers verbreitet wird, verfährt Bild nach dem Motto:
Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Dieser Bruch vollzieht sich nach außen von heute auf morgen, doch er hat eine Vorgeschichte, die sich im Hintergrund abspielt, als Wulff Bundespräsident
ist. Davon wird noch die Rede sein.
Die „Geschäftsbeziehung" zu Bild führt dazu, dass Wulff in der
Politik das Image der Oberflächlichkeit anhaftet. Dabei kann Christian Wulff in Niedersachsen eine politisch durchaus respektable Bilanz vorweisen. Nach seiner Wahl 2003 nahm Wulff konsequent die
Sanierung der Landesfinanzen in Angriff und brachte erfolgreich eine
schwierige Verwaltungsreform auf den Weg, die mit harten Einschnitten und großen Widerständen verbunden war. Wulff galt als einer,
der einen moderativen Stil pflegte und gut zuhören konnte. Wie gut
er die politische Klaviatur beherrschte, bewies er einige Jahre später
in seiner zweiten Amtszeit. Die politisch bedeutendste Leistung des
Ministerpräsidenten Wulff war die Abwehr der geplanten Übernahme
von Volkswagen durch Porsche im Jahre 2008. Dieser politische Erfolg fällt in die Zeit, die zum Jahreswechsel 2011/2012 im Zuge der
Krise rückblickend ausschließlich als eine Phase der Gratisurlaube
und rauschenden Partys wahrgenommen wird. Es ist jedoch auch die
Zeit, in der Wulff in Hannover zu politischer Höchstform auflief Er
schaffte es, die Pläne von Porsche in einem dramatischen Tauziehen,
das sich über Monate erstreckte, zu vereiteln, indem er dafür sorgte,
dass das Land Niedersachsen seinen traditionellen und einzigartigen
Einfluss im Volkswagen-Konzern behielt. Dieser Einfluss beruht auf
dem VW-Gesetz, das dem Land quasi ein Vetorecht sichert bei Versuchen, VW zu übernehmen. Porsche hatte zunächst fest darauf gebaut, das VW-Gesetz mithilfe der EU-Wettbewerbshüter in Brüssel
kippen zu können. Die einmalige Konstruktion war Brüssel in der
Tat ein Dorn im Auge. Zweifellos ist sie fragwürdig und letztlich
anachronistisch, politisch jedoch war es die Aufgabe des Ministerpräsidenten, seinem Land diesen Einfluss zu sichern. Wulff schaffte es,
innerhalb kürzester Zeit ein neues VW-Gesetz durch den Bundestag
zu schleusen, das im November 2008 verabschiedet wurde und dem
Land Niedersachsen sein Vetorecht erhielt. Porsche hatte das Nachsehen. Am Ende wurde der Sportwagenhersteller von Volkswagen
übernommen.
Bundespolitisch blieb Wulff in vielerlei Hinsicht aber ein unbeschriebenes Blatt, obwohl er als niedersächsischer Ministerpräsident
einer von vier stellvertretenden Parteivorsitzenden der CDU war. Dass
viele sich im Juni 2010 fragen, warum nun gerade Christian Wulff
Bundespräsident werden soll, hat auch damit zu tun, dass er kein
bundespolitisches Profil hat. Positiv formuliert würde man sagen, dass
Wulff thematisch sehr breit aufgestellt war, die negative Formel sieht
so aus: Man verband kein Thema mit ihm. Seiner Popularität tat das
keinen Abbruch, denn zur Zeit der Großen Koalition rückt Wulff
zwischenzeitlich zum beliebtesten Politiker Deutschlands au£ Gleichzeitig gilt er bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten als CDUinterner Widersacher von Angela Merkel. Wie Roland Koch, FranzJosef Jung, Friedrich Merz, Matthias Wissmann oder Günther Oettinger gehört Wulff dem sogenannten Andenpakt an, einer mächtigen
Seilschaft von Männern in der CDU, von denen Einzelne immer
wieder als potenzielle Konkurrenten der Kanzlerin gehandelt wurden.
Im Juni 2010 wird deshalb gemutmaßt, Merkel wolle Wulff zum
Bundespräsidenten machen, um auf diese Weise den letzten ernst zu
nehmenden innerparteilichen Kontrahenten kaltzustellen, nachdem
Merz, Oettinger und Koch bereits entweder ausgeschieden oder „wegbefördert" worden waren.
Im Unterschied zu Merz und Koch war das
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