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Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien

Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien

Titel: Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Götschenberg
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Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit so präsent wie zuvor. Es
wurde mehr Zeit gewonnen als Zeit genutzt, um den Patienten zu
therapieren." Man habe weder die Ursachen der Krise beseitigt noch
könne man sagen, die Gefahr sei erkannt oder gebannt. „Wir sehen
tatsächlich eine Entwicklung, die an ein Dominospiel erinnert: Erst
haben Banken andere Banken gerettet, dann haben Staaten Banken
gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer
rettet aber am Ende die Retter?"

    Über Jahre hinweg habe man in vielen Ländern Probleme mit immer
mehr Schulden beseitigt, dieses Geld aber nicht in Bildung und Ausbildung oder zukunftsweisende Forschung investiert, fährt Wulff fort.
Diese „Politik mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft" sei nun an
ihr Ende gekommen. „Es muss ein Ende haben, sich an der jungen
Generation zu versündigen. Wir brauchen stattdessen ein Bündnis mit
der jungen Generation." Die Politik müsse ihre Handlungsfähigkeit
zurückgewinnen, sie dürfe sich nicht von Banken, Ratingagenturen und
sprunghaften Medien am „Nasenring durch die Manege führen lassen".
Wie schon bei seiner Kritik an der Umsetzung der Energiewende pocht
Wulff darauf, dass „die Entscheidungen im Übrigen immer von den
Parlamenten getroffen werden" müssten. Wulff ruft alle europäischen
Staaten auf, sich an die selbst gesetzten Regeln zu halten. Auch Deutschland habe die einst in Maastricht beschlossenen Stabilitätskriterien verletzt. Schließlich mahnt Wulff, dass die Europäische Zentralbank
„schnell zu den vereinbarten Grundsätzen zurückkehren" müsse. Den
massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die EZB halte
er „für politisch und rechtlich bedenklich". Im Frühjahr 2010 hatte die
EZB zum ersten Mal beschlossen, in großem Umfang Staatsanleihen
kriselnder Euroländer aufzukaufen, zunächst griechische, dann irische
und portugiesische. Im Sommer 2011, also unmittelbar bevor Wulff
sich mit seiner Kritik zu Wort meldet, folgte eine zweite Runde, bei der
Anleihen von Spanien und Italien gekauft wurden. Wulffs Kritik in
Lindau ist auch ein Angriff auf die Kanzlerin, denn die Staats- und
Regierungschefs der EU hatten das Manöver der EZB gebilligt.

    Im Kanzleramt empfindet man Wulffs Kritik als deplatziert. Bereits
am Tag darauf macht die Kanzlerin deutlich, dass sich Kritik an der
EZB verbiete, die Bank fälle ihre Entscheidungen unabhängig. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gibt dem Bundespräsidenten
einen gut gemeinten Rat mit auf den Weg: „Wir sind alle gut beraten,
wenn wir die Unabhängigkeit der Notenbank respektieren und ihre
Entscheidungen akzeptieren und sie nicht kritisieren", weist Schäuble
Wulff in seine Schranken. Das Echo fällt ziemlich deutlich aus, vor
allem, wenn man sich bewusst macht, dass die Bundesregierung den
Bundespräsidenten normalerweise auch nicht kommentiert oder gar
kritisiert. Wulff hingegen hält seine Rede zur Eurokrise in Lindau für
die beste in seiner Amtszeit.
    Bemerkenswert ist, dass der Bundespräsident seine Kritik aufdie EZB
konzentriert und sich damit selbst angreifbar macht. Hinzu kommt,
dass die Rede sehr rückwärtsgewandt ist: Wulff kritisiert Entwicklungen, die lange Zeit zurückliegen und nicht mehr zu ändern sind. Zum
Teil wirkt Wulffs Kritik auch fehl am Platze: Denn die mangelnde
Reformbereitschaft, die er den europäischen Regierungen unterstellt,
lässt völlig außer Acht, dass Länder wie Griechenland, Portugal und
Irland zu diesem Zeitpunkt bereits massive Sparanstrengungen mit zum
Teil schweren sozialen Einschnitten unternommen haben.
    Die Kritik in den Medien merkt zum Teil an, dass Wulff keine
Lösungsvorschläge für die Krise präsentiert habe. Das allerdings dürfte als Bundespräsident kaum seine Aufgabe sein. Ein gutes Thema für
den Bundespräsidenten wäre die Frage gewesen, welchen geistigen
und politischen Wert Europa eigentlich für Deutschland hat, statt
sich am Krisenmanagement der europäischen Regierungen abzuarbeiten. Dass Wulff das tut, dürfte auch damit zu tun haben, dass er
in dieser Frage mit der Kanzlerin über Kreuz ist, mit seinen Bedenken
bei ihr aber nicht durchgedrungen ist. Wulff und Merkel haben hier
ihre zweite große Meinungsverschiedenheit, während Wulff Bundespräsident ist. Grundsätzlich ist Wulffs Lindauer Rede ein Beispiel für
eine Bundespräsidentenrede, die die Nachrichten am selben Tag und
die Schlagzeilen der Zeitungen am

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