Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Neutralität,
obwohl der Mainstream ganz klar zugunsten von Gauck verläuft. Man
kann davon ausgehen, dass Bild sich dafür eine Gegenleistung erwartet,
vor allem in Gestalt von Exklusivgeschichten aus dem Bellevue. Das für
beide Seiten gewinnbringende Verhältnis soll unter neuen Vorzeichen
fortgesetzt werden, doch Wulff beginnt, Bild zu verstören. Eines der
ersten Interviews, das Wulff als Bundespräsident gibt, bekommt nicht
die Bild-Zeitung, sondern die Bild am Sonntag. Warum, bleibt Wulffs
und Glaesekers Geheimnis: Schließlich handelt es sich um zwei eigenständige Zeitungen unter dem Dach von Springer, die eher in einem
Spannungsverhältnis zueinander stehen. Während Bild Wulffs Kandidatur wohlwollend begleitet hatte, titelte die Bild am Sonntag „Yes we
Gauck". Aus der Perspektive von Bild war Wulff ihr etwas schuldig.
Doch je länger Wulff Bundespräsident ist, desto mehr reift in Bild
die Erkenntnis, dass der ehemalige Liebling die „Geschäftsbeziehung"
aus Hannover aufgekündigt hat. Bild wartet vergeblich auf Exklusivgeschichten aus dem Schloss, selbst ein Interview bekommt die Zeitung nicht. Dabei bringt man weiter schöne und bunte Geschichten
über den Bundespräsidenten und seine Frau, bei jeder sich bietenden
Gelegenheit setzt Bild das Präsidentenpaar in Szene. Präsidentengeschichten verkaufen sich gut, doch Exklusivgeschichten würden sich
noch besser verkaufen. Doch Wulff „liefert" nicht: Letztlich ist er der
Ansicht, dass Bundespräsident und Bild nicht zusammenpassen. Umso
intensiver beginnt man bei Bild an einer Geschichte zu recherchieren,
für die sich auch schon andere interessierten, und die den Bundespräsidenten absehbar in erhebliche Schwierigkeiten bringen könnte - sollten die Gerüchte stimmen, dass ein bekannter Unternehmer in Hannover ihm bei der Finanzierung seines Hauses in Großburgwedel geholfen hat? Bild beginnt, ganz im Hintergrund, langsam aber sicher,
die Exklusivität in Sachen Wulff neu zu definieren.
Schon kurz nach dem Wechsel ins Bellevue bekommen die Wulffs
einen Hinweis darauf, dass Bild auch anders kann. Bettina Wulff beschreibt eine Szene in ihrem Buch, die sich im September 2010, also
kurz nach der Wahl zum Bundespräsidenten, ereignet haben soll: BildChefredakteur Kai Diekmann habe sie bei einem Besuch im Schloss
auf den Kopf zu gefragt, was an den Rotlicht Gerüchten über sie dran
sei. Bettina Wulff schildert, wie schockiert sie darüber gewesen sei.
Tatsächlich recherchiert nicht nur die Bild-Zeitung in der Angelegenheit, sondern verschiedene Medien. Dass Diekmann es Bettina Wulff
gegenüber offen ausspricht, kann man dreist, aber auch ehrlich finden.
Tatsächlich hat die Bild-Zeitung nie etwas über diese Gerüchte geschrieben. Da die Recherchen aller Medien im Sande verlaufen, erfährt
die Öffentlichkeit nichts. Im Bellevue hingegen weiß man sehr wohl
davon. Das Ganze belastet und empört Wulff gleichermaßen.
Das Tragische ist, dass die Gerüchte nicht verschwinden, obwohl
die Recherchen der Medien ergeben, dass an der Sache nichts dran ist.
Das Präsidentenpaar fühlt sich der Situation hilflos ausgeliefert. Wulff
wird von einigen Journalisten unter vier Augen direkt darauf angesprochen. Auch er selbst kommt auf die Gerüchte über seine Frau in
Gesprächen mit einzelnen Medienvertretern zu sprechen. Einerseits
will er dem Schmutz, der über seine Frau hinter vorgehaltener Hand
und im Internet verbreitet wird, Einhalt gebieten, andererseits scheint
es unmöglich, das Problem offensiv und öffentlich in Angriff zu nehmen. Allein das Bekanntwerden des Gerüchts würde das Staatsoberhaupt kompromittieren. Gleichzeitig befürchtet Wulff, dass einzelne
Medien es früher oder später doch gegen ihn verwenden könnten. Als
die Krise um Wulff im Dezember 2011 ihren Lauf nimmt, erweist sich
diese Befürchtung als richtig. In einzelnen Medien wird schließlich
auf die Gerüchte angespielt.
Im Laufe des ersten Halbjahres 2011, als die Medien beginnen, über
den „schweigenden Präsidenten" zu schreiben, kommt es im Bellevue zu teilweise schweren Auseinandersetzungen über die präsidiale Medienstrategie zwischen Bundespräsident und Präsidentensprecher. Olaf
Glaeseker drängt Wulff, offensiver zu sein, sich auch um diejenigen
Medien zu kümmern, die seiner Präsidentschaft weiterhin mit großer
Skepsis gegenüberstehen. Doch Wulff weicht konsequent aus, sei es
wegen der Landtagswahlen oder aufgrund der
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