Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
folgenden Tag beherrscht, danach aber keine Rolle mehr spielt. Nachdem monatelang eingefordert wurde, der Präsident möge sich zur Eurokrise äußern, verpufft die Wortmeldung weitgehend. Das Internet ist übrigens voll mit kruden Verschwörungstheorien, wonach Wulffs Kritik an der Eurorettung der
eigentliche Grund für seinen Sturz sei. Dafür gibt es allerdings keinerlei Hinweise.
Wulff und die Medien
m Juni 2011, als sich der Tag nähert, an dem Christian Wulff ein
Jahr im Amt ist, ziehen die Medien Bilanz. Sie fällt sehr unterschiedlich aus. Manches davon ist bissig, vieles kritisch, einiges
wohlwollend. Die Financial Times Deutschland geht bereits zehn Tage
vor dem Stichtag besonders hart mit dem Bundespräsidenten ins Gericht und überschreibt ihren Artikel mit „Das Mauerblümchen". Am
Ende seines ersten Amtsjahres habe Christian Wulff „viel gesagt und
wenig bewegt". Der Tagesspiegel wirft die Frage auf- „Wozu hat dieses
Land überhaupt einen Präsidenten, wenn der den Menschen noch
nicht einmal in krisenhaften Zeiten wie diesen etwas zu sagen hat?"
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schließlich stellt fest: „Er kam, sah
und störte nicht weiter." In den Interviews, die Wulff zum 30. Juni
2011 gibt, geht er auf diese Kritik ein. Seine Aufgabe sei es nicht, „wie
ein Schiedsrichter mit roten und gelben Karten über den Platz der
Tagespolitik zu laufen". Manche stimmen ihm durchaus zu. In der
Welt am Sonntag liest man: „Würde sich der Präsident aber in all jenen
Fragen positionieren, wäre der Vorwurf berechtigt, er mische sich in
die Tagespolitik ein. Wulffs erkennbares Bemühen, sich nicht zu jedwedem Thema zu verbreiten, ist äußerst wohltuend." Auch die Süddeutsche Zeitung kommt zu dem Schluss, dass Wulff sein erstes Jahr
im Amt „ordentlich" bewältigt habe. Auch bei seinen Vorgängern habe
es nach einem Jahr fast immer geheißen, der Präsident habe seine
Rolle noch nicht gefunden. Von Christian Wulff könne man das aber nicht sagen: „Er hat sie gefunden, füllt sie freilich noch nicht aus; aber
Letzteres kann man nach erst einem Jahr auch nicht erwarten."
Christian Wulff stand nach seiner Wahl vor der zentralen Herausforderung, die Medien davon zu überzeugen, dass er dem Amt gewachsen ist, nachdem sich nahezu die gesamte Medienlandschaft vor seiner
Wahl im Juni 2010 für Gauck als den besseren Präsidenten ausgesprochen hatte. Wulff hat das verletzt und dauerhaft verunsichert. Er
nimmt diese Unsicherheit mit ins Amt und legt sie letztlich nie mehr
ab. Während es ihm schnell gelingt, die Herzen der Bevölkerung für
sich zu gewinnen, bleibt sein Verhältnis zu den Medien bei aller Verbindlichkeit im Umgang mit Journalisten angespannt. Bei der Bevölkerung steigt seine Beliebtheit von Monat zu Monat und erreicht bis
zum Ausbruch der Krise im Dezember 2011 Traumwerte mit Zustimmungsraten von 80 Prozent. Selbst seine Aussagen zum Islam am 3.
Oktober 2010 schaden Wulffs Sympathiewerten nicht, obwohl zwei
Drittel der Bevölkerung sie in Umfragen ablehnen.
Gleichzeitig gelingt es Wulff mit dieser Rede und gelungenen Auslandsreisen, vor allem in die Türkei und nach Israel, sich auch Respekt
zumindest bei einem Teil der Medien zu verdienen. Viele sind am Ende
positiv überrascht, zumal sich vereinzelt durchaus Ernüchterung über
Joachim Gauck eingestellt hat, etwa als er Thilo Sarrazins Thesen als
„mutig" bezeichnete oder sich abfällig über die kapitalismuskritische
Occupy-Bewegung äußerte. Wulff sonnt sich in seinen hohen Beliebtheitswerten. Im Kern glaubt er, als Bundespräsident auf die Medien
nicht mehr angewiesen zu sein, schon gar nicht auf jene, die ihn für
nicht würdig befunden hatten, Präsident zu werden und die auch spürbar auf Distanz bleiben, als er im Amt ist. In Wulffs Umfeld wird es
als schweres Versäumnis des Bundespräsidenten wahrgenommen, dass
es ihm nicht gelingt, sich den Respekt einiger zentraler Leitmedien zu
erarbeiten, vor allem des Spiegel und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Medienstrategisch war das ein schwerer Fehler", erinnert sich
eine ehemalige Mitarbeiterin. Weder der Spiegel noch die FAZbekommen ein Interview mit dem Bundespräsidenten. Auch ein weiteres
Leitmedium geht leer aus: die Bild-Zeitung.
Mit dem Wechsel ins Bellevue beginnt zwischen Wulff und der BildZeitung ein schleichender Prozess der Entfremdung. In den Wochen vor
der Wahl zum Bundespräsidenten wahrt Bildwohlwollende
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