Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
gebotenen präsidialen
Zurückhaltung gegenüber der Tagespolitik. Interviews sieht Wulff
generell skeptisch: Er fürchtet, dass einzelne Aussagen am Ende verkürzt zur Schlagzeile werden könnten und die eigentliche Botschaft,
die das Interview transportieren sollte, untergeht. Die Sorge ist nicht
ganz unbegründet. Wulffs Nachfolger Joachim Gauck erlebt, kaum
im Amt, nach einem Interview mit dem ZDF im Sommer 2012, wie
die Medien die Geschichte „Gauck gegen die Kanzlerin" zur Schlagzeile machen, obwohl Gauck diesen Eindruck gar nicht erwecken will.
Vor allem aber sieht Christian Wulff die Arbeit seines Sprechers im
Laufe des Jahres 2011 zunehmend kritisch. Glaeseker sei nie in Berlin
angekommen, beschwert sich Wulff intern und ärgert sich darüber,
dass sein Sprecher immer zwischen Berlin und seinem Haus in Niedersachsen pendelt. Auch an den langen Reisen des Bundespräsidenten
hat Glaeseker mit der Zeit kaum noch Interesse. Das Verhältnis bekommt in Berlin Risse, Wulff und Glaeseker beginnen, sich immer
mehr zu entfremden.
Grundsätzlich wird es für den Bundespräsidenten generell schwieriger, den Spagat zwischen der gebotenen Zurückhaltung gegenüber
der Tagespolitik und der Forderung nach mehr Einmischung zu schaffen. Es ist das Spannungsfeld, in dem sich alle Bundespräsidenten
bewegen und mit dem sie sich arrangieren müssen. Das gelingt mal
besser und mal schlechter, mit Sicherheit wird es aufgrund des sich
immer schneller drehenden Medienkarussells in diesem Amt aber immer schwieriger. So ziemlich alle Akteure des politischen Lebens haben
sich mittlerweile auf die schöne neue Medienwelt eingestellt oder ver suchen es zumindest: ein twitternder Regierungssprecher, eine Kanzlerin, die in den sozialen Netzwerken präsent ist, die Video-Podcasts
ins Internet stellt, ein SPD-Chef, der über Facebook kommuniziert,
von den Aktivitäten der Bundesministerien, Parteien, Fraktionen und
Bundestagsabgeordneten ganz zu schweigen, die nicht nur ungezählte
Pressemitteilungen verschicken, sondern auch über Facebook oder
twitternd rund um die Uhr Botschaften versenden.
Nicht so der Bundespräsident. Zweifellos ist nicht alles davon segensreich, notwendig oder zielführend, dennoch wirkt der Bundespräsident
im Vergleich dazu gelegentlich wie ein Relikt aus einer vergangenen
Epoche. Im Bundespräsidialamt herrscht die Auffassung vor, dass das
auch ganz gut so ist, dass der Präsident gut beraten ist, nicht über jedes
Stöckchen zu springen. Das setzt jedoch voraus, dass die Medienwelt
ihm diese Rolle auch zugesteht, was ganz und gar nicht sicher ist. Im
Gegenteil: Da das meiste, was der Bundespräsident macht, unterhalb
der medialen Wahrnehmungsschwelle stattfindet, besteht die Gefahr,
dass sehr schnell die Frage aufkommt, ob der Bundespräsident zu den
brennenden aktuellen Fragen denn nichts mitzuteilen habe. In Zeiten
permanenter Krisen, ob tatsächlich oder gefühlt, umso mehr. Die Vorstellung eines entrückten Amtes jenseits der tagespolitischen Hektik
kollidiert immer mehr mit den Erwartungen einer zunehmend von der
Hand in den Mund lebenden Nachrichtenwelt.
Gleichzeitig sind die Möglichkeiten des Bundespräsidenten, auf diese medialen Herausforderungen zu reagieren, vergleichsweise beschränkt.
Das unterscheidet ihn grundsätzlich von anderen Akteuren des politischen Betriebs in der Hauptstadt, wie beispielsweise der Bundesregierung. Den Mitgliedern der Regierung steht der gesamte Instrumentenkasten der tagespolitisch orientierten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
zur Verfügung, wohingegen der Bundespräsident vieles, was über ihn
geschrieben und gesagt wird, meist lange ertragen muss, bis sich eine
Gelegenheit für eine Stellungnahme ergibt. Der Kontakt des Staatsoberhaupts zu den Medien ist sehr limitiert, der Bundespräsident gibt keine
Pressekonferenzen, es sei denn, er empfängt einen Staatsgast oder ist
selbst auf Reisen. Ruft der Bundespräsident die Medien zusammen, um eine Erklärung abzugeben, hat das gleich etwas Krisenhaftes. Eine
unvorteilhafte Meldungslage in den Medien zu parieren, ist nicht so
einfach. Das Amt erfordert eine Menge Gelassenheit und ein dickes Fell.
Die immer wieder gestellte Frage „Was macht eigentlich der Bundespräsident ...?" muss man ertragen können, vor allem wenn der Terminkalender gleichzeitig prall gefüllt ist.
Christian Wulff holt diese Frage im ersten Halbjahr 2011 ein. Sie
ist auch seinen Vorgängern im Laufe
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